Menschen über 60 als Beratungs- und Therapieklientel der Zukunft

Ein Problem am Alter ist die Einstellung dazu

Die Lebenserwartung steigt - und mit ihr der Anteil Älterer. Auf 100 Menschen von 20 bis 64 Jahren kommen heute 34, die 65 Jahre alt und älter sind. Im Jahr 2030 werden es mehr als 50 sein. Der Bedarf Älterer an psychologischer Beratung und Psychotherapie ist ebenso groß oder sogar größer als der Jüngerer. Dennoch sind nur fünf Prozent der 60- bis 69-Jährigen und nur 1, 3 Prozent der über 70-Jährigen in Therapie.

Ein Fall aus der Praxis: Herr und Frau L., beide Anfang 70, haben eine Ehekrise. Beide waren berufstätig, bis sie mit Mitte 60 in Rente gingen. Zunächst gab es oft Dis­kussionen darüber, wie die neue Lebensphase zu gestal­ten sei. Dabei wurde deutlich, dass die Eheleute sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt hatten. Solange beide berufstätig gewesen waren, hatten sie dies kaum bemerkt. Es zeigte sich, dass er Zeit mit seiner Frau ver­bringen wollte, während sie es vorzog, viel allein oder mit Freundinnen zu unternehmen. Zudem gab es un­terschiedliche Vorstellungen zum Thema Finanzen und massive Probleme in der Sexualität, worunter beide lit­ten. Die häufigen, zunächst konstruktiven Diskussionen endeten immer öfter im Streit, bis sich letztendlich beide zurückzogen, die Gespräche seltener wurden und zuneh­mend emotionale Kälte und Feindseligkeiten die Bezie­hung bestimmten. Die Ehefrau äußerte schließlich, dass sie an eine Scheidung denke. In der Therapie, die sowohl aus Einzel- als auch aus Paar-Gesprächen bestand, lern­ten beide, dem anderen wieder zuzuhören und Verständ­nis für dessen Wünsche zu entwickeln. Es war hilfreich, an früher bewältigte Krisen zu erinnern. Die Partner konnten ihre lange Beziehung mit den gemeinsam er­lebten Höhen und Tiefen wieder wertschätzen. Und es gelang ihnen, auf Basis ihrer Ressourcen gemeinsam die Zukunft zu planen.

Der beschriebene Fall zeigt typische Probleme, die ältere Menschen in eine Therapie führen: Depressionen, schwere Ehekrisen, angedrohte oder vollzogene Scheidungen, Iden­titätsprobleme nach dem Ende der Berufstätigkeit. Häufige Anlässe sind zudem Ängste, psychosomatische Symptome oder körperliche Erkrankungen. Meistens sind die Therapie­anlässe bei Älteren aber ähnlich denen jüngerer Klienten.

Negative Altersbilder

Warum aber sind wenige ältere Menschen in Beratung und Therapie? Viele Untersuchungen belegen, dass der Hauptgrund in den - überwiegend negativen - Altersbildern der Therapeuten liegt: Diese verbinden das Älterwerden vor al­lem mit einem Schwinden der Kräfte und dem Nachlassen intellektueller Fähigkeiten. Bei der Beschreibung von Eigen­schaften dominieren defizitorientierte Sichtweisen. Positive Aspekte werden so gut wie gar nicht wahrgenommen. Bedeutsam ist, dass ältere Menschen auch selbst negative Al­tersbilder haben und entsprechend davon ausgehen, nicht mehr ausreichend selbstständig oder lernfähig zu sein und keine Ansprüche mehr an ihr Leben stellen zu dürfen. Viele Verhaltensweisen Älterer sind somit als selbst erfüllende Pro­phezeiungen zu verstehen.

Veränderungspotenzial im Alter

Therapeuten gehen oft davon aus, dass die Arbeit mit Älteren wenig erfolgversprechend ist, da bei ihnen nur noch wenig Motivation und eine geringe Lernfähigkeit vorhanden sind. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass alte Menschen durchaus in der Lage sind, sich zu verändern.

Sicher ist das Älterwerden mit einem Nachlassen der Kräf­te und einer Zunahme von kleineren und manchmal auch größeren Erkrankungen verbunden. Dies ist jedoch nur eine Seite der Realität. Auf der anderen zeigte sich: Für viele ist das Älterwerden für lange Zeit oder sogar bis zum Lebensende weitgehend frei von größeren Beeinträchtigungen.

Älterwerden kann schön sein

Ältere Menschen verfügen über viele Kompetenzen und Erfahrungen. Und wer das Altern positiv sehen kann und optimistisch ist, lebt länger: Eine große Studie in den USA zeigte, dass positiv denkende Menschen gesünder lebten und 20 Jahre nach Untersuchungsbeginn im Schnitt eine um 7, 5 Jahre höhere Lebenserwartung hatten.

Eine Rekonstruktion positiver Altersbilder vorzunehmen, ist eine wesentliche Aufgabe in der Therapie - und eine wich­tige Voraussetzung dafür, dass Ältere selbst ihre Potenziale entdecken und entwickeln können. Zudem erhöht sich dadurch die Motivation der Therapeu­ten erheblich. Dann werden wir in Zukunft häufiger hören, was mir ein 75-jähriger Klient in seiner letzten Therapiestunde sagte: ,,Älterwerden kann auch richtig schön sein."

Dipl.-Psych. Axel Kreutzmann Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor BDP, Hannover