GesundheitsförderungPositive PsychologieWirtschaftspsychologie

Stärken erkennen, Potenziale entfalten: Positive Psychologie bietet wirksame Ansätze für mehr Wohlbefinden in Therapie und Beruf.

Die Positive Psychologie ist ein wissenschaftlicher Ansatz, der sich auf die Erforschung und Förderung positiver Emotionen, individueller Stärken und förderlicher Lebensbedingungen konzentriert. Im Gegensatz zur traditionellen, defizitorientierten Psychologie, die sich vor allem mit der Behandlung von Störungen beschäftigt, fragt die Positive Psychologie danach, was Menschen gesund, glücklich und leistungsfähig macht.

Grundsätzlich versteht sich die Positive Psychologie als ein vergleichsweise junges Forschungsfeld innerhalb der Psychologie, das systematisch untersucht, welche Faktoren das Wohlbefinden, die Lebenszufriedenheit und das psychische Wachstum von Menschen fördern. ImMittelpunkt stehen dabei Konstrukte wie Resilienz, Dankbarkeit, Optimismus, Achtsamkeit und persönliche Stärken, die gezielt erforscht und durch Interventionen gestärkt werden sollen. Die Positive Psychologie betrachtet sowohl individuelle Persönlichkeitsmerkmale als auch Umweltbedingungen, die zu einem hohen Wohlbefinden beitragen, und entwickelt darauf aufbauend praxisnahe Ansätze für Therapie, Prävention und die Förderung von Gesundheit – auch im Berufskontext. Damit liefert sie einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung des psychologischen Verständnisses von Gesundheit und menschlicher Entwicklung.

Der Psychologe Martin Seligman, der diese Richtung 1998 maßgeblich prägte, kritisierte, dass sich die klinische Psychologie zu sehr auf die Heilung von Krankheiten konzentriere und zu wenig auf die Bedingungen, die zu Wohlbefinden, Sinn, Glück und persönlicher Entwicklung führen.

Mit diesem Perspektivenwechsel ergänzt die Positive Psychologie nicht nur die klassischen Erkenntnisse der Klinischen Psychologie, sondern beeinflusst auch moderne Ansätze der Arbeits- und Organisationspsychologie. Sie ist heute ein wichtiger Bestandteil innovativer Konzepte der Arbeitsgestaltung, der Führung und der Gesundheitsförderung.

Erlernte Hilflosigkeit und Positive Psychologie

Martin Seligman entwickelte in den 1970er Jahren das Konzept der erlernten Hilflosigkeit („learned helplessness“), das beschreibt, wie Individuen – nach wiederholten Erfahrungen von Kontrollverlust oder Misserfolg – die Erwartung entwickeln, dass ihr eigenes Handeln keine Wirkung mehr zeigt. Diese Wahrnehmung von Ausgeliefertsein kann zu Passivität, Resignation und im schlimmsten Fall zu depressiven Symptomen führen. Später wurde das Modell um die Bedeutung des attributionalen bzw. explanatorischen Stils erweitert: Entscheidend ist, wie Menschen die Ursachen von negativen Erfahrungen erklären. Wer Misserfolge als persönlich, allgegenwärtig (pervasiv) und dauerhaft (permanent) interpretiert, ist besonders gefährdet, Hilflosigkeit und Depression zu entwickeln.

Prof. Dr. Martin E.P. Seligman


It is not about correcting what’s wrong – it is about building what’s right.


Die Positive Psychologie setzt genau an diesem Punkt an: Sie fördert einen optimistischen Erklärungsstil („learned optimism“), bei dem negative Ereignisse als spezifisch, vorübergehend und nicht selbstverschuldet betrachtet werden. So können Menschen lernen, ihre Selbstwirksamkeit zurückzugewinnen und Resilienz aufzubauen.

Ein breites Spektrum an Anwendungsbereichen

Ein wesentliches Merkmal der Positiven Psychologie ist, dass nicht nur Menschen mit psychischen Erkrankungen von ihren Methoden profitieren, sondern auch gesunde Menschen. Die Forschung berücksichtigt daher vielfältige psychologische Anwendungsfelder.

Klinischer Kontext

Im therapeutischen Bereich zeigen Studien, dass Interventionen aus der Positiven Psychologie die Resilienz, das Selbstvertrauen und den Selbstwert stärken sowie Symptome psychischer Erkrankungen reduzieren können. Der Fokus liegt hier auf der Förderung von Ressourcen und dem Herausarbeiten persönlicher Stärken der Patientinnen und Patienten.

Beruflicher Kontext

Auch im Arbeitsleben zeigen zahlreiche Studien positive Effekte: Interventionstechniken aus der Positiven Psychologie können die Produktivität und Kreativität steigern, die Arbeitszufriedenheit erhöhen sowie Fluktuation und Fehlzeiten reduzieren. Führungskräfte, die gezielt Anerkennung und Wertschätzung zeigen, schaffen ein positives Arbeitsklima, das die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden fördert.

Positive Psychologie unterstützt Zufriedenheit und Resilienz in Beruf und Privatleben.

Interventionen der Positiven Psychologie

Die Interventionstechniken der Positiven Psychologie unterscheiden sich je nach Anwendungsgebiet leicht. In der Therapie steht die Förderung individueller Stärken im Vordergrund, während im Berufsleben das Engagement und die Arbeitszufriedenheit im Fokus stehen. Die Methoden sind meist einfach umzusetzen und eignen sich auch zur Selbstanwendung.

Praktische Übungen
  • Dankbarkeitsübung: Die „3 Dinge Übung“ ist eine bewährte Intervention. Patientinnen und Patienten schreiben täglich drei Dinge auf, für die sie dankbar sind. Studien zeigen, dass diese Übung depressive Symptome lindern und die Lebenszufriedenheit steigern kann.
  • Positive kognitive Umbewertung: Im Arbeitskontext wird häufig die Technik der positiven kognitiven Umbewertung eingesetzt, um negative Gedanken und Emotionen in positive umzuwandeln und so das Wohlbefinden sowie die Arbeitszufriedenheit zu fördern.

Im beruflichen Kontext stehen Interventionen im Mittelpunkt, die das Arbeitsengagement, die Teamkultur und das allgemeine Wohlbefinden am Arbeitsplatz verbessern. Dazu gehören praktische Übungen zur Förderung von Anerkennung, Wertschätzung und Stärkenorientierung, wie sie zum Beispiel im Rahmen von „Positive Leadership“-Ansätzen eingesetzt werden. Solche Maßnahmen sind darauf ausgelegt, leicht in den Arbeitsalltag integriert zu werden und können sowohl von Führungskräften als auch von Mitarbeitenden selbst angewendet werden.

Insgesamt belegen die Forschungsergebnisse, dass die Interventionen der Positiven Psychologie flexibel einsetzbar, niederschwellig und wirksam sind – sowohl im therapeutischen Setting als auch im Arbeitsleben.

Ein zentrales Anliegen der Positiven Psychologie ist es, wissenschaftlich fundierte und zugleich alltagstaugliche Methoden bereitzustellen, mit denen Individuen und Organisationen Wohlbefinden gezielt fördern können. Im Laufe der Forschung haben sich dabei verschiedene Modelle und Interventionsansätze herauskristallisiert, die als Leitfaden für die praktische Anwendung dienen.

 

Seminarangebot zum Thema

Die 7 Säulen der Positiven Psychologie

Zu den bewährtesten praxisorientierten Ansätzen zählen die sogenannten „7 Säulen der Positiven Psychologie“. Sie umfassen Interventionstypen, die sich in unterschiedlichen Lebensbereichen – von der Psychotherapie bis zum Arbeitsalltag – als wirksam erwiesen haben:

  1. Auskosten positiver Erfahrungen
  2. Wahrnehmung und Ausdruck von Dankbarkeit
  3. Verstärkung von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft
  4. Steigerung des Einfühlungsvermögens
  5. Förderung von Optimismus
  6. Entwicklung und Anwendung eigener Stärken
  7. Erkenntnis und Verfolgung eines Lebenssinns

Das PERMA-Modell

Ergänzend dazu liefert das PERMA-Modell von Seligman einen theoretischen Rahmen, der die wichtigsten Dimensionen eines erfüllten Lebens bzw. die fünf zentrale Elemente des Wohlbefindens beschreibt:

  • Positive Emotionen
  • Engagement (sinnvolles Tätigsein)
  • Relationships (gute Beziehungen)
  • Meaning (Sinn erleben)
  • Accomplishment (Zielerreichung)

Dieses Modell wird sowohl in der Therapie als auch im Coaching und in der Arbeitswelt erfolgreich angewendet. Es dient als strukturierende Grundlage, um Interventionen gezielt auszuwählen und auf die individuellen Bedürfnisse von Einzelpersonen oder Teams abzustimmen. Damit verbindet das Modell die wissenschaftliche Fundierung der Positiven Psychologie mit konkreten Wegen zur Steigerung von Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit.

Forschung und Evidenz

Die Wirksamkeit der Positiven Psychologie ist durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt. Interventionen wie Dankbarkeitsübungen, Stärkenorientierung und positives Feedback zeigen nicht nur in Einzelfällen, sondern auch in größeren Untersuchungen nachhaltige Effekte auf Wohlbefinden, Motivation und psychische Gesundheit.

Kritik und Limitationen

Trotz vieler positiver Befunde gibt es auch Kritik an der Positiven Psychologie. Ein zu starker Fokus auf positive Emotionen kann dazu führen, dass negative Gefühle verdrängt werden („toxische Positivität“). Zudem werden kulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung von Glück und Wohlbefinden zunehmend diskutiert. Kritiker mahnen an, dass gesellschaftliche und strukturelle Faktoren nicht außer Acht gelassen werden dürfen.

Weiterführendes:

  • Eine aktuelle Metaanalyse (2025) belegt, dass stärkenbasierte Interventionen im Arbeitskontext die Arbeitszufriedenheit und Leistung signifikant verbessern können. 
    https://www.semanticscholar.org/paper/Character-Strengths-Based-Interventions-and-Their-a-Vásquez-Pailaqueo-Acosta-Antognoni/aa5d038b88b445cb8250b16ea8fc289708e5d8d0

    Auch frühere Metaanalysen (z.B. Sin & Lyubomirsky, 2009; Bolier et al., 2013) fanden positive, wenn auch eher kleine bis mittlere Effekte auf Wohlbefinden und Depression. 
    https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC6541265/

  • Systematische Reviews und randomisierte kontrollierte Studien zeigen, dass PPIs wie Dankbarkeitsübungen, Achtsamkeit, Stärkenarbeit und Optimismus-Trainings das Wohlbefinden steigern und Symptome psychischer Belastungen reduzieren können. Dies gilt sowohl für gesunde Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche, wobei insbesondere die Förderung von Beziehungen, positiven Emotionen und Sinn als wirkungsvoll gilt.
    https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC8623229/

  • Die Wirkung variiert je nach Art der Intervention. Multikomponenten-Programme und Dankbarkeitsübungen wirken besonders auf positive Emotionen und Wohlbefinden. Interventionen wie „Acts of Kindness“ zeigten in manchen Studien keine signifikanten Effekte gegenüber Kontrollgruppen
    https://link.springer.com/article/10.1007/s41042-023-00088-4

Weitere Beiträge

Vorteile für BDP-Mitglieder
Allgemein

Vorteile für BDP-Mitglieder

mehr lesen
Finanzpsychologie – Ein Interview mit Psychologin Julia Thiele
Wirtschaftspsychologie

Finanzpsychologie – Ein Interview mit Psychologin Julia Thiele

mehr lesen
Angst vor dem Autofahren
Verkehrspsychologie

Angst vor dem Autofahren

mehr lesen

zum Magazin