Wirtschaftspsychologie

Deeskalation von Konflikten im Arbeitsalltag

Wie Sie durch gezielte Interventionen Eskalation vermeiden und das Konfliktpotenzial konstruktiv nutzen!
Deeskalation von Konflikten im Arbeitsalltag

Inhalt:

  1. In die Konfliktdynamik eingreifen – aber wie?
  2. Konfliktdynamiken vereinnahmen Menschen und verändern ihr Verhalten
  3. Eskalation lässt sich systematisieren und einschätzen
  4. Zielorientierte Arbeit am Konflikt
  5. Und was hat das mit mir zu tun? 

Wo Menschen zusammenarbeiten, gehören sie dazu: Konflikte. Schnell führen sie zu Frust und Zeitverlust. Statt um die eigentlichen Aufgaben, dreht sich die Kommunikation schnell nur noch um den Konflikt. Die Produktivität sinkt und innere Kündigung droht. Daher ist es nur verständlich, wenn heraufziehende Konflikte im Arbeitskontext Sorgen auslösen. 

Dabei könnte das auch anders sein, denn in vielen Konflikten liegt Potential. Mitarbeiter*innen engagieren sich für ein Anliegen, es wird um gute Lösungen gerungen oder auch versucht, Missstände offen zu legen. Frühzeitige Intervention ist entscheidend, um diese Kräfte zu nutzen und die destruktiven Potentiale, die zweifellos in Konflikten liegen, zu minimieren.

In die Konfliktdynamik eingreifen – aber wie?

Drei Aspekte sind elementar, um in Konflikten sinnvoll und zielgerichtet eingreifen zu können. Erstens sollte berücksichtigt werden, dass Menschen sich in Konflikten verändern (Glasl, 1997).  Sie scheinen nicht mehr sie selbst zu sein und verhalten sich ungewohnt und anders, als wir es von ihnen erwarten. Dies passiert nicht vorsätzlich, wirkt aber durchaus konfliktverschärfend. Zweitens sollten Interventionen je nach Eskalationsstufe des Konflikts passend gewählt werden. Denn während manche Interventionen auf einer niedrigeren Eskalationsstufe sehr hilfreich sind, wirken sie auf höheren Stufen eher eskalierend und mit ihnen wird das sprichwörtliche „Öl ins Feuer“ gegossen. Da sich manche Konflikte sehr dynamisch entwickeln, sollte diese Einschätzung immer wieder aktualisiert werden. Der dritte Aspekt ist Führungskräften wohlvertraut, wird aber in Konflikten oft vernachlässigt: Ein für alle Konfliktparteien attraktives, mindestens aber annehmbares Ziel muss gefunden werden. Geteilte Ziele sind von wesentlicher Bedeutung und dienen als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Veränderungsmotivation bei den Beteiligten (Storch, 2022). Sie richten das gemeinsame Handeln aus. 

Diese drei wesentlichen Gelingensbedingungen für eine konstruktive Konfliktbewältigung sind oft eher implizit und geschehen im Hintergrund. Daraus resultiert der Eindruck, sinnvoll mit Konflikten umgehen zu können, wäre ein „magische Fähigkeit“. Das stimmt aber nicht, Konfliktmoderation ist ein erlernbares Handwerk. 

Ich möchte hier die drei genannten Aspekte kurz anhand eines Beispiels veranschaulichen. 

Das IT-Team einer öffentlichen Verwaltung mit drei Sachgebieten bekommt eine neue Führung, indem eine neue Hierarchieebene geschaffen wird. Dies scheint notwendig, denn die Sachgebiete sind bisher beim ohnehin mit einer großen Themenvielfalt befassten Hauptamt der Kommune angesiedelt und die notwendige fachliche Expertise in der operativen Leitung fehlt dort. Die Suche nach einer geeigneten Führungskraft gestaltet sich schwierig, aber schließlich bewirbt sich Herr X. als Abteilungsleiter und wird eingestellt. Herr X. hat bisher keine Erfahrung in der öffentlichen Verwaltung, war aber jahrzehntelang in leitender Funktion bei einem international agierenden Konzern tätig. Aufgrund persönlicher Umstände möchte Herr X. nun in die Region der Verwaltung ziehen, dafür nimmt er große Gehaltseinbußen in Kauf. Alle Beteiligten freuen sich, eine erfahrene und fachlich versierte Führungskraft gefunden zu haben. 

Nach kurzer Zeit eskaliert jedoch die Lage. Herr Y., Leiter des Hauptamtes und Vorgesetzter von Herrn X., bekommt immer mehr Beschwerden von Seiten der Sachgebietsleiter und von Herrn X. zu hören. Daher schaltet Herrn Y. eine Konfliktmoderatorin ein. 

Im Vorgespräch mit Hauptamtsleiter Herr Y. wird deutlich, dass dieser sich den Konflikt überhaupt nicht erklären kann. Er arbeite seit Jahren mit den beteiligten Sachgebietsleitern zusammen. Deren nun von Herrn X. beschriebenen Verhaltensweisen in dem Konflikt kennt Herr Y. nicht. Auch die von den Sachgebietsleitern vorgetragenen Zweifel an Herrn X.s fachlicher Expertise stehen im Widerspruch zu dessen Lebenslauf. Er kann sich den Konflikt auch nach zahlreichen Gesprächen nicht recht erklären. 

Konfliktdynamiken vereinnahmen Menschen und verändern ihr Verhalten

Menschen verändern sich in Konflikten. Dies beschrieb Friedrich Glasl in seinem vielzitierten Standardwerk „Konfliktmanagement“ (Glasl, 1997) sehr genau. Diese Veränderungen sind keine bewusste Entscheidung der Beteiligten, sondern das Resultat der Interaktion zwischen Eskalationsdynamiken und grundlegenden psychischen Mechanismen. Durch eine Verzerrung der Wahrnehmung blenden die Konfliktparteien jene Verhaltensweisen der Gegenseite aus, die nicht in die Konfliktdynamik passen und potenziell deeskalierend wirken könnten (selektive Aufmerksamkeit). Die Wahrnehmung wird auf den Konflikt verengt, wodurch sich auch Gedanken, Gefühle und Absichten verändern. 

Auf der Ebene der Gedanken und Gefühle kommt es zu einer Fixierung. Die Gedanken und Gespräche drehen sich innerhalb und auch außerhalb der Arbeitszeit zunehmend um die gegnerische Konfliktpartei. Fachliche Arbeit wird vernachlässigt und auch die Erholungsfähigkeit der Beteiligten nimmt ab (z.B. durch Gedankenkreisel und Schlafstörungen). Der Konflikt nimmt so immer mehr Raum ein. Auf der Ebene der Absichten verändern sich die Ziele der Beteiligten immer massiver. Wo anfangs noch hohe fachliche Arbeitsqualität und eine Weiterentwicklung der Sachgebiete im Vordergrund stand, entstehen hier nun Ideen davon, der Gegenseite zu schaden oder die eigene „Mannschaft“ zu schützen. Diese Verschiebung der Absichten kann sich bis hin zu sehr destruktiven Verhaltensweisen steigern und den Wunsch nach der „Vernichtung“ (Glasl, 1997) der Gegenseite beinhalten.

Diese Veränderungen sind – dies muss immer wieder klar gesagt werden – keine bewusste Entscheidung. Sie betreffen häufig auch ausschließlich das Verhalten in der konflikthaften Situation und so erklärt sich, dass der Hauptamtsleiter Herr Y. die handelnden Personen gänzlich anders kennt und wahrnimmt, als diese sich gegenseitig in den jeweiligen Berichten beschreiben. Für die Konfliktbegleitung ist es wichtig, diese Verzerrungen als gegeben anzuerkennen und mit ihnen zu arbeiten, statt sie zu ignorieren oder im schlimmsten Fall über deren Deutung zu streiten. 


Handlungssicherheit entsteht, wenn Konflikte nicht als unberechenbar wahrgenommen, sondern anhand bewährter Modelle analysiert werden

Eskalation lässt sich systematisieren und einschätzen

Für die Planung eines geeigneten und wirkungsvollen Eingreifens in den Konflikt, bedarf es zunächst einer Einschätzung des Eskalationsstufe. Methoden, die auf einer Eskalationsstufe zur Befriedung beitragen, können auf einer anderen Stufe das Gegenteil auslösen. 

Nach dem ersten Gespräch mit Herrn Y. schien der Konflikt nach wie vor diffus. Es wurden daher getrennte Vorgespräche mit Herrn X. sowie mit den drei Sachgebietsleitungen durchgeführt. Es stellte sich unter anderem heraus, dass Arbeitsanweisungen systematisch unterwandert und in den Sachgebieten nicht (mehr) umgesetzt wurden. Die Urheberschaft von Arbeitsergebnissen wurde bewusst verschleiert, die vorher selbstverständliche Verantwortungsübernahme für das reibungslose Funktionieren der Infrastruktur wurde abgelehnt, was beinah zu einem Totalausfall aufgrund eines Updates geführt hätte.

Konflikte fühlen sich zwar oft unberechenbar an, entwickeln sich aber nicht willkürlich. Vielmehr eskalieren sie in einer Dynamik, welche sich anhand eines Eskalationsmodells gut nachvollziehen lässt (Glasl, 1997). Dabei kann es sein, dass die Eskalation hochschnellt und sich wieder ein Stück beruhigt, bis der nächste Streitpunkt droht. Mit der Eskalationstreppe steht ein bewährtes und alltagspraktisches Modell zur Verfügung, um die Eskalation einzuschätzen und auf dieser Basis eine hilfreiche Intervention auszuwählen. 

Die hier deutlich sichtbare Stufe der „Legitimierung“ ist beispielsweise dadurch gekennzeichnet, dass die Konfliktparteien Verhalten zeigen, dass sie vor und außerhalb des Konflikts niemals zeigen würden und das oft ihren Grundwerten widerspricht. Mit der Argumentation: „Aber die andere Seite hat ja A und B getan! Das geht doch nicht, daher mussten wir doch C tun!“ werden Handlungen vor sich selbst und vor anderen gerechtfertigt, die außerhalb des Konfliktes nicht passieren würden. 

Die verschiedenen Perspektiven und „Anklagepunkte“ vervollständigten das Bild und die derzeitige Eskalation konnte auf der Stufe der Legitimierung eingeordnet werden. Nach der entsprechenden Rückmeldung durch mich ließen sich alle Beteiligten auf eine Konfliktmoderation, angelehnt an das HARVARD-Konzept zur Verhandlungsführung (Fisher, Ury, & Patton, 2009), ein. Dieses Vorgehen ist gut etabliert und hat sich auf dieser Eskalationsstufe bewährt. 


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Die Arbeit am Konflikt verlangt den Beteiligten ab, mindestens ihr Verhalten, im besten Fall aber auch ihre Einstellung zu verändern. Veränderungen auf diese Ebenen sind aber nicht leicht; das wissen alle Menschen, die schon einmal eine  unliebsame Angewohnheit an sich selbst verändern wollten.
Dipl.-Psych. Anna Georgi

Zielorientierte Arbeit am Konflikt

Der erste Eindruck des Konfliktstoffes sowie eine Einschätzung der Eskalationsstufe lag nun vor und die Methodik war entsprechend ausgewählt. Um die Arbeit mit den Konfliktparteien beginnen zu können, brauchte es nun ein geteiltes Ziel. 

Die Arbeit am Konflikt verlangt den Beteiligten ab, mindestens ihr Verhalten, im besten Fall aber auch ihre Einstellung zu verändern. Veränderungen auf diese Ebenen sind aber nicht leicht; das wissen alle Menschen, die schon einmal eine  unliebsame Angewohnheit an sich selbst verändern wollten. Ziele sind dabei von großer motivationaler Bedeutung (Storch, 2022), um die im Konflikt eingeübten Verhaltensweisen zu verändern. Die Operationalisierung eines geeigneten Ziels ist allerdings nicht einfach und bei der Formulierung ist häufig Unterstützung nötig. 

Bei der Anfrage nach einer Konfliktmoderation wurden Sätze formuliert wie: „Wir müssen Ruhe in den Laden bringen!“ „Zwei Personen stehen auf der Abschussliste, aber wer soll gehen?“ „Das muss doch endlich aufhören, die bekommen alle Unterstützung und leisten nichts!“ 

Für den Prozess wurde dann mit Herrn Y. folgendes Ziel erarbeitet: „Die Abteilung IT arbeitet kooperativ zusammen und erfüllt ihre Aufgaben im Haus in vollem Umfang. Regelmäßig werden in Dienstberatungen auftretende Probleme besprochen und Lösungen gefunden. Sollten Ressourcen fehlen, so wird dies mit Begründung und Vorschlag an die Hauptamtsleitung gemeldet.“

Dieses Ziel wurde den drei Sachgebietsleitungen und Herrn X. von deren Vorgesetztem Herrn Y. vorgegeben. In einem gemeinsamen Gespräch bestätigten alle beteiligten Leitungskräfte dieses Ziel und akzeptierten es, daran gemessen zu werden. Auf dieser Basis konnte die Konfliktmoderation nun beginnen und wurde in ca. fünf Monaten abgeschlossen. Obwohl es Rückschläge in der Zusammenarbeit gab und Abmahnungen ausgesprochen werden mussten, gelang es, die Ziele weitgehend zu erreichen. 

Und was hat das mit mir zu tun? 

Glücklicherweise eskaliert nicht jeder Konflikt im Arbeitskontext auf eine solche Weise und ich hoffe, Sie haben in ihrem täglichen Alltag mit weniger schwerwiegenden Auseinandersetzungen zu tun. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die drei Schritte Ihnen helfen werden, zielgerichteter und effektiver mit Konflikten umzugehen und deren Potentiale zu nutzen, ohne zerstörerische Eskalation in Kauf nehmen zu müssen. Frühzeitiges Eingreifen und das richtige Handwerkszeug lohnen sich auf jeden Fall.

Sie möchten mehr darüber erfahren?

Im Praxisworkshop „Deeskalation und Gewaltvermeidung im Arbeitsalltag“ mit Dipl.-Psych. Anna Georgi lernen Sie bewährte Strategien, um Konflikte effektiv zu entschärfen und Gewaltpotenzial zu reduzieren. Durch stufenangepasste Interventionen reagieren Sie gezielt auf verschiedene Eskalationsstufen und tragen so zur Vermeidung verbaler und psychischer Gewalt bei.

Quellen:
  • Fisher, R., Ury, W., & Patton, B. (2009). Das Harvard-Konzept. Campus Verlag.
  • Glasl, F. (1997). Konfliktmanagement: ein Handbuch für Führungskräfte, Beraterinnen und Berater. Bern: Haupt.
  • Storch, M. (2022). Selbstmanagement – ressourcenorientiert. Bern: Hogrefe Verlag.
Anna Georgi
Anna Georgi

Anna Georgi ist Diplom-Kommunikationspsychologin, systemische Therapeutin (DGSF) und Prozessberaterin zur Entwicklung von Schutzkonzepten (Kinderschutzbund). Seit 2012 arbeitet sie als Trainerin im Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie. Sie bringt Erfahrung in der Konzipierung und Durchführung und Auswertung von Mitarbeitendenbefragungen und der strukturierten Erarbeitung von Problemlösungen mit. Seit 2022 beschäftigt sie sich freiberuflich mit der Erarbeitung von Gewaltschutzkonzepten und ist als Supervisorin und (Konflikt-) Moderatorin tätig.

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