BerufsverbotDepressionSuizid

Pauschale Berufsverbote für Menschen mit Depressionen führen zu Stigmatisierung und verhindern Hilfe – statt Sicherheit zu schaffen, verschärfen sie das Problem.

Angesichts der vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann geforderten pauschalen Berufsverbote für Menschen mit Depressionen warnt der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) vor Aktionismus. 

„Diese Forderung klingt wohlfeil und drückt vor allem Hilflosigkeit im Umgang mit nicht zu kontrollierenden Situationen aus“, erklärt Prof. Michael Krämer vom BDP. „Berufsverbote bergen das große Risiko, dass Depressionen und andere psychische Erkrankungen noch stärker verheimlicht werden. Dadurch sinken die Chancen auf Heilung durch eine verfügbare und wirksame Therapie.“

Der BDP fordert daher, statt ineffektiver Maßnahmen wie Berufsverboten die psychotherapeutische Versorgung endlich in ausreichendem Maße sicherzustellen. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hatte vor dem Hintergrund des Germanwings-Absturzes in den französischen Alpen (2015) im ARD-Nachtmagazin und im Focus ein Berufsverbot für Menschen mit Depressionen gefordert. Dazu erklärt der BDP: Menschen in verantwortungsvollen Berufen bei Vorliegen einer Depression pauschal mit einem Berufsverbot belegen zu wollen, wirft weit mehr Probleme auf, als es löst.

Prof. Michael Krämer, Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP)


Berufsverbote bergen das große Risiko, dass Depressionen und andere psychische Erkrankungen noch stärker verheimlicht werden und daher die Chance der Heilung durch eine verfügbare und wirksame Therapie sinkt.


Was spricht gegen ein Berufsverbot bei Depression?

Suizidalität und Depression sind nicht gleichzusetzen 

Nicht jede Person, die im Verlauf ihres Lebens einmal über einen Suizid nachgedacht hat, ist tatsächlich suizidal. Ebenso beschäftigt sich bei weitem nicht jede Person mit Depression mit suizidalen Gedanken oder ist akut gefährdet.

Statistische Einordnung

Die 12-Monats-Prävalenz – also die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres an einer Depression zu erkranken – ist in Deutschland seit 2009 stetig gestiegen. Mit einer administrativen Prävalenz von 16,7 % im Jahr 2023 stellt Depression eine häufige Diagnose in der ambulanten Versorgung dar, auch gegenüber anderen psychischen Störungen (Thom et al. 2024). Ein Zusammenhang mit Suizidalität besteht nur bei einem sehr kleinen Teil. Die Konstellation eines erweiterten Suizids mit Fremdgefährdung ist äußerst selten. Vor diesem Hintergrund ist der Vorschlag, einen entsprechenden Prozentsatz der Angehörigen dieser Berufe pauschal von der Berufsausübung auszuschließen, nicht zielführend.

Diagnostische Grenzen 

Die Differenzialdiagnose einer akuten Suizidgefährdung gehört zu den schwierigsten Aufgaben der psychotherapeutischen und psychiatrischen Diagnostik. Patientinnen und Patienten sind durchaus in der Lage, eine akute Suizidneigung selbst gegenüber erfahrenen Fachkräften zu verschleiern.

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass bei sehr seltenen Erkrankungen die Vorhersagekraft jeder körperlichen oder psychischen Diagnostik schon aus methodischen Gründen begrenzt ist und keine sicheren Ergebnisse liefern kann.

Gefahr der Verheimlichung

Die mit dem Vorschlag beabsichtigte Risikoerfassung würde demnach ins Leere laufen. Viele Betroffene würden aus Angst vor Stigmatisierung notwendige Hilfen nicht mehr in Anspruch nehmen. Stigmatisierung führt dazu, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen als „gefährlich“, „unzuverlässig“ oder „selbstverschuldet“ wahrgenommen werden – stereotype Vorstellungen, die wissenschaftlich widerlegt sind, aber dennoch weit verbreitet bleiben. Diese gesellschaftlichen Vorurteile führen zu Ausgrenzung am Arbeitsplatz, Statusverlust und verminderten Lebenschancen. Gleiches gilt für Einschränkungen der Schweigepflicht von PsychotherapeutInnen, PsychologInnen und ÄrztInnen.

Internationale Erfahrungen

Erfahrungen aus den USA zeigen deutlich, dass die Inanspruchnahme professioneller Hilfe sinkt, wenn negative Konsequenzen wie Berufsverbote zu erwarten sind.

Negative Folgen eines Berufsverbots

Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, der Berufsverband Deutscher Nervenärzte und der Berufsverband Deutscher Psychiater zeigen sich in einer gemeinsamen Stellungnahme besorgt: “In der öffentlichen Diskussion wird fälschlicherweise vermittelt, dass von psychischen Erkrankungen, insbesondere eine der häufigsten, der Depression, Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen, gegen die Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Dadurch werden Menschen mit einer psychischen Störung (…) öffentlich diskriminiert.”

Nach einem Rückgang der Prävalenz für eine depressive Symptomatik zwischen 2014 und 2019 ist seit 2022 wieder ein deutlicher Anstieg zu beobachten.

Unklar bleibt außerdem, welche Berufsgruppen von den geforderten Verboten betroffen wären. Geht es nur um PilotInnen, LokführerInnen, BerufskraftfahrerInnen, Bus- und StraßenbahnfahrerInnen? Oder müssten dann auch ÄrztInnen, PolitikerInnen und andere Menschen mit hoher Verantwortung in ihrer Tätigkeit einbezogen werden? Die Definition bleibt vage und öffnet einer willkürlichen Ausweitung der Verbote Tür und Tor. Ein Berufsverbot für Menschen mit Depressionen in den genannten Berufsgruppen würde unweigerlich dazu führen, dass viele Betroffene von der Berufsausübung ausgeschlossen würden, obwohl sie weder für sich noch für andere ein Risiko darstellen. Ihre berufliche Existenz würde zerstört.

Viele depressiv Erkrankte erhalten ohnehin über lange Zeit keine adäquate Behandlung. Der Leidensdruck ist enorm – vor allem, wenn die Störung unerkannt und unbehandelt bleibt. Stigmatisierung psychischer Erkrankungen ist ein weiteres zentrales Hindernis für eine rechtzeitige und wirksame Behandlung. Menschen mit Depressionen sehen sich häufig mit Vorurteilen, Ausgrenzung und Diskriminierung konfrontiert, was die Bereitschaft, Hilfe zu suchen, zusätzlich mindert.

Forderung: Versorgung statt Verbote

 Statt pauschaler Berufsverbote fordert der BDP, die psychotherapeutische Versorgung auszubauen und die Wartezeiten auf Therapieplätze zu verkürzen. Derzeit warten Patientinnen und Patienten in Deutschland im Durchschnitt mehrere Monate auf einen Therapieplatz – eine Situation, die dringend verbessert werden muss, denn: Ein pauschales Berufsverbot für Menschen in verantwortungsvollen Berufen bei Vorliegen einer Depression schafft mehr Probleme als es löst.

Depressionen sind heute gut behandelbar

Depressionen sind heute in den meisten Fällen gut behandelbar. Die Behandlung stützt sich vor allem auf zwei zentrale Säulen: die medikamentöse Therapie mit Antidepressiva und die Psychotherapie. Medikamente gelten als wirksames und unverzichtbares Mittel, während psychotherapeutische Verfahren – wie etwa die kognitive Verhaltenstherapie – ebenfalls einen festen Platz in der Behandlung einnehmen. Häufig werden beide Ansätze miteinander kombiniert, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen. 

Selbst schwere oder therapieresistente Depressionen sprechen häufig auf neue Medikamente, innovative Therapien wie Ketamin oder moderne Hirnstimulationsverfahren an. Besserungen zeigen sich oft schon in den ersten Wochen der Behandlung. Bleibt eine Besserung aus, kann die Therapie schnell angepasst werden, um den Behandlungserfolg zu beschleunigen. Die Behandlung wird immer auf die persönlichen Bedürfnisse abgestimmt. Neben ärztlicher und psychotherapeutischer Unterstützung stehen zahlreiche Selbsthilfeangebote und digitale Programme zur Verfügung.

Hilfe und Anlaufstellen

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