Zwischen Gerichtssaal und Gutachten: Die Rechtspsychologie

Inhalt:
- Was ist Rechtspsychologie? Definition und Gegenstand
- Kernbereiche: Kriminalpsychologie und Forensische Psychologie
- Rechtspsychologie als interdisziplinäres Fach
- Zentrale Aufgaben- und Anwendungsfelder der Rechtspsychologie
- Qualifikationsanforderungen und Weiterbildung in der Rechtspsychologie
- Berufliche Perspektiven und institutionelle Einbindung
- Aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen
- Fazit und Ausblick
Was macht einen Menschen zum Täter und wie kann man erkennen, ob eine Zeugenaussage der Wahrheit entspricht? Nicht erst, wenn Gerichte an ihre Grenzen stoßen, sind psychologische Gutachten oft entscheidend. Die Rechtspsychologie liefert Antworten auf Fragen, bei denen es um Glaubwürdigkeit, Risikoabschätzung oder das Kindeswohl geht. Dieser Artikel beleuchtet, wie sich das Fach an der Schnittstelle von Psychologie und Recht entwickelt hat, welche Aufgaben heute im Fokus stehen und warum die Expertise von RechtspsychologInnen für Justiz und Gesellschaft unverzichtbar ist.
Was ist Rechtspsychologie? Definition und Gegenstand
Die Rechtspsychologie ist ist eine eigenständige Anwendungsdisziplin der Psychologie, die psychologische Theorien, Methoden und empirische Erkenntnisse auf Fragestellungen des Rechtssystems anwendet. Sie ist damit Teil der angewandten Psychologie und umfasst die systematische Untersuchung und praktische Anwendung psychologischen Wissens im Kontext von Recht, Justiz und gesellschaftlicher Normdurchsetzung.
Das Spektrum der Rechtspsychologie ist breit: Es reicht von der Analyse individueller Tatmotive und Persönlichkeitsmerkmale über die Begutachtung von Zeugenaussagen bis hin zur Entwicklung von Präventions- und Interventionsprogrammen. Im Mittelpunkt stehen das Verhalten, Erleben, Kognitionen, Emotionen und Motivationen von Menschen, die im rechtlichen Kontext auffällig werden oder werden könnten – sei es als TäterInnen, Opfer, ZeugInnen oder andere Verfahrensbeteiligte.
Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden umfangreiche rechtspsychologische Forschungsarbeiten durchgeführt, die die Grundlage für gutachterliche Stellungnahmen in praktischen Einzelfällen bildeten. Aufgrund der thematischen Breite bestehen enge Bezüge zu nahezu allen Grundlagen- und Anwendungsfächern der Psychologie, etwa zur Allgemeinen Psychologie (z. B. Gedächtnis bei Zeugenaussagen), Sozialpsychologie (z. B. Urteilsprozesse vor Gericht), Entwicklungspsychologie (z. B. Entstehung kriminellen Verhaltens), Klinischer Psychologie (z. B. Straftäterbehandlung) und Diagnostik (z. B. Gutachtenerstellung). Darüber hinaus ist die Rechtspsychologie interdisziplinär und bezieht sich auf Erkenntnisse aus Kriminologie, forensischer Psychiatrie, Sexualmedizin und Rechtssoziologie.
Im deutschsprachigen Raum wird die Rechtspsychologie seit den 1970er Jahren zunehmend als eigenständige Disziplin verstanden, da sich viele Fragestellungen nicht mehr eindeutig den klassischen Teilgebieten der Kriminalpsychologie oder der forensischen Psychologie zuordnen lassen. Sie umfasst heute alle Anwendungen psychologischer Theorien, Methoden und Ergebnisse auf Probleme des Rechts und ist damit nicht auf das Strafrecht beschränkt, sondern bezieht auch Zivilrecht, Familienrecht, Verwaltungsrecht, Asylrecht, Polizeipsychologie, Opferschutz und viele weitere Bereiche ein.
Kernbereiche: Kriminalpsychologie und Forensische Psychologie
Die Rechtspsychologie gliedert sich traditionell in zwei Kernbereiche:
- Kriminalpsychologie: Dieser Bereich widmet sich der Analyse und dem Verständnis von Ursachen, Entwicklung und Erscheinungsformen kriminellen sowie sozial abweichenden Verhaltens. Dazu gehören auch die Untersuchung von Risikofaktoren, die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen, die Erforschung von Rückfallwahrscheinlichkeiten und die Begleitung von StraftäterInnen im Rahmen von Interventionen und Resozialisierung. Die Kriminalpsychologie bedient sich verschiedene theoretische Ansätze (z.B. aus der Sozial- und Entwicklungspsychologie sowie der Soziologie) und betrachtet sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Einflüsse auf delinquentes Verhalten.
- Forensische Psychologie: Sie befasst sich mit psychologischen Fragestellungen, die sich im Rahmen von Gerichtsverfahren oder verwaltungsrechtlichen Entscheidungen ergeben. Typische Themen sind die Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen, die Einschätzung der Schuldfähigkeit, die Prognose der Gefährlichkeit oder die familienrechtliche Begutachtung bei Sorgerechts- und Umgangsfragen. Die Forensische Psychologie hat sich historisch aus der Anwendung experimenteller psychologischer Erkenntnisse auf die Rechtsprechung entwickelt und ist heute ein zentrales Feld rechtspsychologischer Gutachten. Forensisch-psychologische Diagnostik umfasst dabei die Anwendung psychologischer Methoden zur Vorbereitung rechtlicher Entscheidungen.
Aufgrund der zunehmenden Diversifizierung der Anwendungsfelder (z. B. Familienrecht, Opferschutz, Polizeipsychologie, Asylrecht) ist eine strikte Trennung dieser Bereiche heute kaum mehr sachgerecht. Viele Fragestellungen sind interdisziplinär und überschneiden sich inhaltlich.
Rechtspsychologie als interdisziplinäres Fach
Die Rechtspsychologie ist ein Querschnittsfach, das einen engen Bezug zu Recht, Kriminologie, Psychiatrie, Soziologie und anderen Fächern unterhält. Sie bedient sich eines breiten Methodenspektrums, das von experimentellen Studien über Aktenanalysen und psychologische Testverfahren bis hin zu komplexen Gutachten und Interventionsforschung reicht. Die kontinuierliche Forschung zu rechtspsychologischen Fragestellungen ist ein relativ junges Phänomen, das heute durch spezialisierte Studiengänge, Fachgruppen, Weiterbildungsordnungen und ein bundesweites Rechtspsychologenregister institutionalisiert ist.
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Historische Entwicklung der Rechtspsychologie
Die Geschichte der Rechtspsychologie ist vielschichtig und reicht bis in das 18. und 19. Jahrhundert zurück. Im Folgenden wird nur ein knapper Überblick gegeben; eine ausführliche Darstellung der historischen Entwicklung findet sich bei Bliesener & Lösel (2023) und Pfundmair (2020).
Die Entwicklung der Rechtspsychologie ist eng mit gesellschaftlichen, juristischen und wissenschaftlichen Veränderungen verbunden. Zwei Wurzeln, die sich auch heute noch in den Kerndisziplinen widerspiegeln sind zentral: Kriminalpsychologie und Forensische Psychologie.
Die Anfänge als Kriminalpsychologie
Kriminalpsychologie entstand im 18. und 19. Jahrhundert aus der Beschäftigung mit der „Seelenlehre des Verbrechers“. Bereits 1792 prägte Johann Christian Gottlieb Schaumann den Begriff „Criminalpsychologie“ und entwickelte erste Konzepte zu Gegenstand und Methode des Faches. Im 19. Jahrhundert wurde die Kriminalpsychologie zumeist der Kriminologie zugeordnet. Bedeutende Vertreter wie Beccaria und Lombroso legten wichtige Grundlagen, auch wenn viele ihrer Annahmen heute als überholt gelten.

Die Wurzeln der Kriminalpsychologie liegen in der frühen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Verbrechen und Tätern.
Die Anfänge der Forensischen Psychologie
Die Forensische Psychologie entwickelte sich aus der Anwendung experimenteller psychologischer Erkenntnisse im Bereich des Rechts. Ein Meilenstein war die Berufung von William Stern, dem ersten Psychologen, der als Sachverständiger vor Gericht auftrat. Stern gründete 1903 die Zeitschrift „Beiträge zur Psychologie der Aussage“ und führte erste experimentelle Studien zur Zeugenaussage durch.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die Rechtspsychologie zunächst an Bedeutung, gewann aber ab den 1950er Jahren durch die wachsende Nachfrage nach psychologischer Expertise in Gerichtsverfahren wieder an Relevanz. Ein wichtiger Schritt war die Anhörung von Udo Undeutsch 1954 durch den Bundesgerichtshof, der die Einbeziehung psychologischer Sachverständiger bei kindlichen Zeugenaussagen betonte.
Zusammenführung und Ausdifferenzierung
Seit den 1970er Jahren wird im deutschsprachigen Raum der Begriff „Rechtspsychologie“ verwendet, um das gesamte Spektrum psychologischer Anwendungen im Recht zu beschreiben. Die Disziplin umfasst heute Themen wie Aussagepsychologie, Kriminalprognose, Familienrechtspsychologie, Opferschutz, Polizeipsychologie, interkulturelle Aspekte und Prävention.
Die Institutionalisierung der Rechtspsychologie zeigt sich in der Gründung spezialisierter Fachgruppen, der Entwicklung von Weiterbildungsordnungen, der Etablierung von Masterstudiengängen und der Schaffung eines bundesweiten Rechtspsychologenregisters.
Aktuelle Perspektiven
Die Rechtspsychologie ist heute ein dynamisches Fachgebiet, das sich immer wieder neuen gesellschaftlichen Herausforderungen stellt, von der Digitalisierung über den Opferschutz bis hin zu interkulturellen und ethischen Fragen. Sie ist wissenschaftlich fundiert, praxisnah und für die Qualität der Rechtsprechung unverzichtbar.
Zentrale Aufgaben- und Anwendungsfelder der Rechtspsychologie
Die Rechtspsychologie umfasst zahlreiche Anwendungsfelder, die sowohl die wissenschaftliche Forschung als auch die praktische Tätigkeit betreffen. Sie ist damit ein ausgesprochen breit gefächertes Fachgebiet.
Aussagepsychologie und Glaubhaftigkeitsbegutachtung:
Im Rahmen aussagepsychologischer Gutachten wird untersucht, ob eine Aussage auf tatsächlichem Erleben beruht oder durch andere Faktoren beeinflusst wurde. Dabei werden verschiedene Merkmale wie Detailreichtum, logischer Aufbau und die Darstellung von Schwierigkeiten im Handlungsablauf berücksichtigt. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist auch die Fähigkeit des Zeugen zur verlässlichen Aussage Gegenstand einer differenzierten Prüfung.
Kriminalprognose und Rückfallrisikoabschätzung:
Ein weiteres zentrales Anwendungsfeld ist die Prognose zukünftigen kriminellen Verhaltens. Hier kommen sowohl statistisch-nomothetische (aktuarische) Verfahren als auch idiografische, einzelfallbezogene Analysen zum Einsatz. Prognoseinstrumente wie der Dittmann-Katalog strukturieren die Bewertung von Risiko- und Schutzfaktoren. Die Prognose ist entscheidend für Maßnahmen wie Haftentlassung, Lockerungen im Strafvollzug oder die Unterbringung im Maßregelvollzug.
Familienrechtspsychologie:
Im Familienrecht stehen die Beurteilung von Erziehungsfähigkeit, Kindeswohl und Umgangsrecht im Mittelpunkt. PsychologInnen erstellen Gutachten, die Gerichte bei Entscheidungen über Sorgerecht, Umgang oder den Entzug der elterlichen Sorge unterstützen. Die Begutachtung basiert auf rechtlichen Vorgaben und empirisch abgesicherten diagnostischen Verfahren. Hierbei spielen entwicklungspsychologische Kenntnisse, Beobachtung, Exploration und testpsychologische Verfahren eine zentrale Rolle. Die Gutachten müssen transparent, nachvollziehbar und wissenschaftlich fundiert sein, da sie weitreichende Konsequenzen für Kinder und Familien haben.
Schuldfähigkeit und strafrechtliche Verantwortlichkeit:
In Strafverfahren werden rechtspsychologische Gutachten zur Beurteilung der Schuldfähigkeit, der Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit sowie der strafrechtlichen Verantwortlichkeit eingeholt. Die Gutachter untersuchen, ob und inwieweit psychische Störungen, Intelligenzminderungen oder Persönlichkeitsstörungen die Fähigkeit zur Steuerung des eigenen Verhaltens beeinflusst haben. Ein typisches Arbeitsfeld ist auch die Frage der Strafmündigkeit bei Jugendlichen und Heranwachsenden.
Polizeipsychologie und Gefährdungseinschätzung:
RechtspsychologInnen unterstützen Polizei und Ermittlungsbehörden, etwa bei der Einschätzung von Bedrohungslagen, der Analyse von Täterprofilen oder der Vorbereitung von ZeugInnen auf Gerichtsverhandlungen. Sie beraten bei der Gestaltung von Vernehmungssituationen, um Suggestibilität und Verfälschungen zu minimieren, und sind in der Aus- und Fortbildung polizeilicher Einsatzkräfte tätig.
Opferschutz und Viktimologie:
Die psychologischen Folgen von Viktimisierung, die Entwicklung von Unterstützungsangeboten für Opfer und die Prävention von Sekundärviktimisierung sind weitere wichtige Aufgabenfelder. Hierzu gehören auch die Forschung zu Kriminalitätsfurcht und die Entwicklung von Präventions- und Interventionsprogrammen für besonders gefährdete Gruppen.
Interkulturelle und gesellschaftliche Fragestellungen:
Mit der zunehmenden Diversität der Gesellschaft gewinnen interkulturelle Aspekte in der rechtspsychologischen Diagnostik und Begutachtung an Bedeutung. Kulturelle Unterschiede in Wahrnehmung, Kommunikation und Erinnerung müssen insbesondere in asyl- und ausländerrechtlichen Verfahren berücksichtigt werden.
Qualifikationsanforderungen und Weiterbildung in der Rechtspsychologie
Die Qualifikation rechtspsychologischer Sachverständiger ist ein zentrales Thema, da die Qualität psychologischer Gutachten maßgeblich von der fachlichen Expertise der GutachterInnen abhängt. Anders als vielfach angenommen, ist für die Tätigkeit als psychologische Sachverständige bzw. psychologischer Sachverständiger keine Approbation als PsychotherapeutIn erforderlich. Die Sachverständigentätigkeit ist keine Heiltätigkeit im Sinne des Psychotherapeutengesetzes und unterliegt deshalb keinem Approbationsvorbehalt (vgl. Frederichs, 2017). Entscheidend ist vielmehr, dass GutachterInnen über ein abgeschlossenes Psychologiestudium (Master oder Diplom) und spezifische rechtspsychologische Sachkunde verfügen, die weit über das im Studium vermittelte Wissen hinausgeht.
Diese spezifische Sachkunde wird in Deutschland durch die postgraduale Weiterbildung zum/zur Fachpsychologen/Fachpsychologin für Rechtspsychologie BDP/DGPs erworben. Diese Weiterbildung ist modular aufgebaut und umfasst sowohl theoretische als auch praktische Ausbildungsanteile, darunter rechtliche Grundlagen, empirische Methoden, Diagnostik, Gutachtenerstellung, ethische Richtlinien und Nachbardisziplinen wie Psychiatrie und Kriminologie. Hinzu kommen praktische Module mit Supervision, Falldokumentationen und Hospitationen sowie eine Abschlussprüfung durch ein Fachgremium.
Nach erfolgreichem Abschluss erfolgt die Zertifizierung und die Aufnahme in das bundesweite Rechtspsychologenregister, das Gerichten als Nachweis besonderer Qualifikation dient. Auch rechtspsychologische Masterstudiengänge vermitteln fundierte Kenntnisse, die teilweise auf die Weiterbildung angerechnet werden können.
Die kontinuierliche Fortbildung und regelmäßige Supervision sind verpflichtende Bestandteile der Qualitätssicherung. Ethische Standards, wie sie beispielsweise vom BDP formuliert wurden, sind verbindlich und betreffen insbesondere den Umgang mit sensiblen Daten, die Transparenz der Gutachtenerstellung und die Verantwortung gegenüber KlientInnen und Gerichten.
Wichtig: Die Approbation als PsychotherapeutIn ist keine notwendige Voraussetzung für die Sachverständigentätigkeit und garantiert auch nicht automatisch die erforderliche rechtspsychologische Sachkunde. Die spezifische Qualifikation wird durch gezielte Weiterbildung, Supervision und praktische Erfahrung erworben.

Moderne Rechtspsychologie unterstützt heute auch Prävention und Sicherheitsmanagement.
Berufliche Perspektiven und institutionelle Einbindung
RechtspsychologInnen sind in einer Vielzahl von Arbeitsfeldern tätig. Sie arbeiten in Justiz und Verwaltung, in forensischen Kliniken, im Maßregelvollzug, bei Polizei und Jugendämtern, in Beratungsstellen, Forschungseinrichtungen sowie zunehmend auch in der freien Praxis. Die institutionelle Einbindung erfolgt über Fachgesellschaften wie beispielsweise die Sektion Rechtspsychologie des BDP, die für Qualitätssicherung, Weiterbildung und Interessenvertretung sorgen.
Die Aufgabenbereiche sind breit gefächert und reichen von der Erstellung von Gutachten für Gerichte (z. B. zu Glaubhaftigkeit, Rückfallprognose, Schuldfähigkeit, Erziehungsfähigkeit, Kindeswohl) über die Entwicklung und Evaluation von Präventions- und Interventionsprogrammen bis hin zur Beratung von Polizei und Justiz bei Gefährdungseinschätzungen oder der Vorbereitung von ZeugInnen auf Gerichtsverhandlungen.
Ein weiteres zentrales Tätigkeitsfeld ist die Forschung, etwa zu Ursachen und Prävention von Kriminalität, zur Wirksamkeit von Interventionen, zur Aussagepsychologie oder zu familienrechtlichen Fragestellungen. RechtspsychologInnen sind zudem in der Aus- und Weiterbildung tätig und tragen zur Professionalisierung des Fachs bei.
Die institutionelle Einbindung und die Etablierung von Qualitätsstandards sind entscheidend für die gesellschaftliche Anerkennung und die Wirksamkeit rechtspsychologischer Expertise. Die Fachgesellschaften bieten ein Netzwerk, organisieren Fachtagungen, veröffentlichen Leitlinien und Mindeststandards und vertreten die Interessen der RechtspsychologInnen gegenüber Politik, Justiz und Öffentlichkeit.
Aktuelle Herausforderungen und Entwicklungen
Die Rechtspsychologie steht vor der Aufgabe, sich kontinuierlich an gesellschaftliche und rechtliche Veränderungen anzupassen. Besonders die zunehmende Diversität der Gesellschaft rückt interkulturelle Aspekte in den Fokus rechtspsychologischer Diagnostik und Begutachtung. Kulturelle Unterschiede beeinflussen Wahrnehmung, Kommunikation und Erinnerungsprozesse, insbesondere in asyl- und familienrechtlichen Verfahren ist kultursensible Diagnostik unerlässlich, um Fehlurteile zu vermeiden.
Auch die Digitalisierung bringt neue Möglichkeiten und Herausforderungen mit sich: KI-gestützte Analysen, digitale Tools und virtuelle Realität werden immer häufiger in Diagnostik, Forschung und Lehre eingesetzt. Damit gehen jedoch Fragen des Datenschutzes, ethische Überlegungen und die Gefahr algorithmischer Verzerrungen einher.
Die hohe gesellschaftliche Bedeutung rechtspsychologischer Gutachten verlangt nach klaren Qualitätsstandards und kontinuierlicher Professionalisierung. Einheitliche Weiterbildungen, Supervision und die Orientierung an empirisch abgesicherten Methoden sind zentrale Bestandteile der Qualitätssicherung. Die Fachgesellschaften setzen sich für die Verbreitung und Anerkennung dieser Standards ein.
Darüber hinaus ist die Disziplin zunehmend mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie Extremismus, sexualisierter Gewalt und Kindeswohlgefährdung konfrontiert. Forschung zu Risikofaktoren, Schutzmechanismen und Interventionsstrategien sowie die Entwicklung neuer Prognose- und Präventionsmethoden sind gefragter denn je.
Nicht zuletzt besteht weiterhin ein Mangel an qualifizierten FachpsychologInnen. Die Fachgesellschaften fordern daher, rechtspsychologische Inhalte stärker im Psychologiestudium zu verankern und spezialisierte Weiterbildungsangebote auszubauen.
Fazit und Ausblick
Die Rechtspsychologie ist ein hoch relevantes, interdisziplinäres Fachgebiet. Sie arbeitet wissenschaftlich fundiert und verbindet psychologische Forschung und Diagnostik mit der praktischen Anwendung im Rechtssystem und trägt entscheidend zur Qualität, Fairness und Wirksamkeit juristischer Entscheidungen bei. Die Professionalisierung durch strukturierte Weiterbildung, Qualitätssicherung und ethische Standards sorgt dafür, dass rechtspsychologische Expertise einen unverzichtbaren Beitrag zu einer gerechten, effektiven und evidenzbasierten Rechtsprechung leistet.
Mit der fortschreitenden Digitalisierung, der wachsenden gesellschaftlichen Diversität und neuen Herausforderungen im Bereich Prävention und Intervention bleibt die Rechtspsychologie ein dynamisches Feld, das kontinuierlich Innovation und Reflexion verlangt. Für PsychologInnen, PsychiaterInnen und Studierende bietet das Fach nicht nur spannende wissenschaftliche Fragestellungen, sondern auch vielfältige berufliche Perspektiven und die Möglichkeit, gesellschaftlich wirksam zu werden.
- Bliesener, T., Dahle, K.-P., & Lösel, F. (Hrsg.). (2023). Lehrbuch Rechtspsychologie (2. Aufl.). Hogrefe.
- Frederichs, J. (2017). Qualifikationsanforderungen an psychologische Sachverständige. Rechtspsychologie – Rpsych, 3(2), 218–222.
- Pfundmair, M. (2020). Psychologie bei Gericht. Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61796-0
- Volbert, R., & Dahle, K.-P. (2010). Forensisch-psychologische Diagnostik im Strafverfahren. Hogrefe.
- Volbert, R. (2024). Rechtspsychologie und forensische Psychologie. In Dorsch – Lexikon der Psychologie. Hogrefe. https://dorsch.hogrefe.com/gebiet/rechtspsychologie-und-forensische-psychologie
- Sektion Rechtspsychologie des BDP: Informationen zu Definition, Tätigkeitsfeldern, Qualifikation und Weiterbildung (Stand: 2024).
- Fachpsychologe/Fachpsychologin für Rechtspsychologie BDP/DGPs – Weiterbildungsordnung und Curricula (aktuelle Fassung, 2025).