Notfallpsychologie

Notfallpsychologie: Menschen in Krisen begleiten

Wie arbeiten NotfallpsychologInnen und was macht das Berufsfeld so spannend? Einblick in Theorie, Praxis und Ausbildung.
Notfallpsychologie: Menschen in Krisen begleiten

Inhalt:

  1. Was ist Notfallpsychologie?
  2. Von der Katastrophe zur Wissenschaft: Die Geschichte der Notfallpsychologie
  3. Notfall, Trauma und Krise: Was passiert im Ausnahmezustand?
  4. Interventionsformen: Was hilft in der Krise?
  5. Besondere Gruppen und Situationen
  6. Prävention in der Notfallpsychologie
  7. Ausbildung, Qualifikation und Tätigkeitsfelder
  8. Fazit

Ein Unfall, ein plötzlicher Todesfall, eine Naturkatastrophe oder ein Amoklauf – Notfälle und traumatische Ereignisse reißen Menschen aus ihrem Alltag und konfrontieren sie mit Extremsituationen, auf die niemand wirklich vorbereitet ist. In diesen Momenten kommt die Notfallpsychologie ins Spiel: Sie unterstützt Betroffene, Angehörige, Zeugen, aber auch Helfende dabei, das Geschehene zu verarbeiten, Orientierung zu finden und ihre psychische Stabilität wiederzuerlangen.

Die Praxis zeigt, wie unterschiedlich Notfälle erlebt werden und wie wichtig eine passgenaue Unterstützung ist. Nach einem Suizid am Arbeitsplatz kann es beispielsweise zu Spannungen im Team kommen: Während die einen möglichst schnell zum Alltag zurückkehren wollen, brauchen andere Raum für Trauer und Abschied. Hier hilft die Notfallpsychologie, gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln, etwa durch die Einrichtung eines Rückzugsraums oder moderierte Gespräche im Team.

Auch nach Großschadensereignissen wie Terroranschlägen oder Naturkatastrophen zeigt sich, wie wichtig die Koordination von Akuthilfe, Stabilisierung und Nachsorge ist. Mobile Krisenteams, SchulpsychologInnen, Seelsorgende und viele weitere Berufsgruppen arbeiten Hand in Hand, um Betroffene bestmöglich zu unterstützen.


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Notfallpsychologie ist die Entwicklung und Anwendung von Theorien, Methoden und Maßnahmen der Psychologie sowie ihrer Nachbardisziplinen bei Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen, die von Notfällen direkt oder indirekt betroffen sind.
Lasogga & Gasch, 2011

 

Was ist Notfallpsychologie?

Im Standardwerk von Lasogga und Gasch wird Notfallpsychologie definiert als „die Entwicklung und Anwendung von Theorien, Methoden und Maßnahmen der Psychologie sowie ihrer Nachbardisziplinen bei Einzelpersonen, Gruppen und Organisationen, die von Notfällen direkt oder indirekt betroffen sind“ (Lasogga & Gasch, 2011). Sie umfasst Präventions-, Interventions- und Nachsorgemaßnahmen, die in der Regel innerhalb eines kurzen Zeitraums nach dem Ereignis greifen. Ziel ist es, die psychische Stabilität zu erhalten oder wiederherzustellen, Ressourcen zu aktivieren und die natürliche Verarbeitung zu fördern, um langfristige Schäden möglichst zu vermeiden.

Der Begriff „Notfall“ wird bewusst weit gefasst: Es sind Ereignisse, die „aufgrund ihrer subjektiv erlebten Intensität physisch und/oder psychisch als so beeinträchtigend erlebt werden, dass sie zu negativen Folgen in der physischen und/oder psychischen Gesundheit führen können“ (Lasogga u. Gasch 2004a). Dies können Unfälle, Gewalterfahrungen, Naturkatastrophen oder plötzliche Todesfälle sein, aber auch von außen weniger dramatisch erscheinende Situationen werden von Menschen als Notfall erlebt. 

Eine Hand reicht einer anderen Hand ein schwarzes Papierherz.

Halt geben. In Krisenzeiten zählt menschliche Verbundenheit und empathische Unterstützung besonders.

Von der Katastrophe zur Wissenschaft: Die Geschichte der Notfallpsychologie

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit psychischen Notlagen nach Katastrophen, Kriegen und Unfällen begann im 19. Jahrhundert mit der Untersuchung von Eisenbahnunglücken und den Folgen für die Überlebenden („railway spine“). Im 20. Jahrhundert rückten Kriegs- und Katastrophenerfahrungen, Suizidprävention und die Betreuung von Opfern sexueller Gewalt zunehmend in den Fokus. Ein Meilenstein für die Psychotraumatologie war die Aufnahme der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) in die internationalen Diagnosemanuale.

Notfall, Trauma und Krise: Was passiert im Ausnahmezustand?

Ein Notfall ist ein plötzliches, bedrohliches Ereignis, das die gewohnten Lebensabläufe sprengt und die üblichen Bewältigungsstrategien überfordert. Die Betroffenen erleben einen psychischen Ausnahmezustand: Schock, Angst, Kontrollverlust, verändertes Zeiterleben und das Gefühl, „wie im Film“ zu sein, sind häufige erste Reaktionen. Nicht jede Notfallsituation führt zu einem Trauma. Entscheidend ist das subjektive Erleben von Hilflosigkeit und Überforderung.

Geraten Menschen in einen solchen Ausnahmezustand, kann es passieren, dass ihre bisherigen Bewältigungswege nicht mehr greifen. In diesem Moment entsteht eine Krise: Das seelische Gleichgewicht ist verloren gegangen, und die Betroffenen fühlen sich oft orientierungslos oder überfordert. Genau hier setzt die Notfallpsychologie an. Ihre Interventionen zielen darauf ab, möglichst frühzeitig zu unterstützen, die Verarbeitung des Erlebten zu fördern und einer möglichen Chronifizierung psychischer Belastungen vorzubeugen.

Wie reagieren Menschen auf Notfälle?

Die ersten Stunden und Tage nach einem Notfall sind durch ein breites Spektrum von Gefühlen und Verhaltensweisen geprägt: Schock, Angst, Wut, Schuldgefühle, Trauer, aber auch Apathie oder Rückzug sind normale Reaktionen. Sie können sofort, aber auch erst nach Tagen oder Wochen auftreten. Die Verarbeitung hängt von vielen Faktoren ab, etwa von der Persönlichkeit, Vorerfahrungen, sozialer Unterstützung und den verfügbaren Ressourcen.

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Unser Portfolio reicht von einführenden Vorträgen bis hin zu spezialisierten Seminaren, etwa zur Notfallpsychologie in der Bundeswehr, und umfasst auch ein umfassendes Curriculum mit Zertifizierung als NotfallpsychologIn. Wir bieten Ihnen eine breite Auswahl an Veranstaltungen, die aktuelle Herausforderungen aufgreifen und Theorie mit Praxis verbinden.

Interventionsformen: Was hilft in der Krise?

Notfallpsychologische Interventionen sind zeitlich gestaffelt und orientieren sich an den Bedürfnissen der Betroffenen:

  • Akuthilfe (erste Stunden bis Tage): Ziel ist die Stabilisierung, das Schaffen von Sicherheit und die Aktivierung von Ressourcen. Zentrale Elemente sind Zuhören, Orientierung geben, kleine Entscheidungen ermöglichen und soziale Unterstützung aktivieren.
  • Stabilisierungsphase (Tage bis Wochen): Hier stehen Entlastungsgespräche, Psychoedukation, Trauerbegleitung und die Unterstützung bei der Rückkehr in den Alltag im Vordergrund.
  • Weiterbetreuung und Therapie (Monate bis Jahre): Bei anhaltender Symptomatik erfolgt die Überleitung in eine Traumatherapie (z. B. EMDR, kognitive Verhaltenstherapie, narrative Expositionstherapie).

Trauer und Trauerbegleitung sind ebenfalls ein wichtiger Teil der Nachsorge, insbesondere nach plötzlichen Todesfällen oder Suiziden. Hier helfen Rituale, Gespräche und das gemeinsame Erinnern, den Verlust zu verarbeiten.

Besondere Gruppen und Situationen

Kinder und Jugendliche in Notfallsituationen

Kinder und Jugendliche erleben Notfälle und Katastrophen anders als Erwachsene. Ihr Erleben, ihre Wahrnehmung und ihre Bewältigungsstrategien sind stark von ihrem jeweiligen Entwicklungsstand geprägt und unterscheiden sich oft grundlegend von denen der Erwachsenen. Bereits in der Akutphase zeigen sie ein breites Spektrum an Reaktionen: Kleinkinder reagieren häufig mit Regression (z. B. Einnässen, Sprachverlust), ältere Kinder mit somatischen Beschwerden, Ängsten oder Schuldgefühlen, während Jugendliche eher Rückzug, Risikoverhalten oder Aggression zeigen können.

Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) für Kinder und Jugendliche muss daher altersspezifisch und differenziert gestaltet werden. Forschung und Praxiserfahrungen zeigen, dass standardisierte, wissenschaftlich fundierte Konzepte für diese Zielgruppe bislang nur eingeschränkt vorliegen. Viele Empfehlungen beruhen auf Erfahrungswissen und „Lessons learned“ aus Großschadenslagen wie Amokläufen oder schweren Unfällen. Besonders herausfordernd sind Situationen, in denen viele Kinder gleichzeitig betroffen sind, wie etwa bei Schulbusunfällen, Naturkatastrophen oder Amokläufen an Schulen.

Zentrale Elemente der notfallpsychologischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sind:

  • Altersspezifische Interventionen: Die Maßnahmen müssen an die kognitive und emotionale Entwicklung angepasst sein. Bei jüngeren Kindern stehen spielerische Methoden, kreative Ausdrucksformen (Malen, Basteln) und Rituale im Vordergrund. Ältere Kinder und Jugendliche profitieren von Gesprächen, Gruppenangeboten und der Förderung sozialer Unterstützung.
  • Psychoedukation: Die Vermittlung von Wissen über normale Reaktionen auf das Erlebte sowie über Bewältigungsstrategien hilft, Ängste zu reduzieren und Selbstwirksamkeit zu stärken.
  • Elternarbeit: Die Beratung und Anleitung der Bezugspersonen ist ein wesentlicher Bestandteil. Eltern und andere Erwachsene im Umfeld müssen unterstützt werden, um angemessen auf die Bedürfnisse der Kinder reagieren zu können.
  • Netzwerkbildung und Weitervermittlung: Die Zusammenarbeit mit Schulen, Jugendämtern, Kinderärzten und spezialisierten Beratungsstellen ist für eine nachhaltige Versorgung unerlässlich.

Die Forschung weist auch darauf hin, dass soziale Medien und die Medienberichterstattung einen zusätzlichen Stressfaktor für Kinder und Jugendliche darstellen können, da sie mit Bildern und Nachrichten von Katastrophen und Gewalt konfrontiert werden, auch wenn sie nicht direkt betroffen sind. Prävention, Medienkompetenz und die Einbeziehung von Lehrkräften sind daher wichtige Bausteine der PSNV.

Kinder und Jugendliche sind in Notfallsituationen besonders vulnerabel. Ihre Versorgung erfordert spezifische Kompetenzen, Strukturen und eine enge Zusammenarbeit aller beteiligten Institutionen. Die Entwicklung und Evaluation evidenzbasierter Konzepte ist ein zentrales Zukunftsthema der Notfallpsychologie.

Die Schatten zweier nach oben gestreckter Hände an der Seitenwand eines Schwimmbeckens.

Suizidale Krisen können sich anfühlen wie das Untergehen. Professionelle Hilfe und Zuwendung können Menschen Halt geben.

Suizid und Suizidprävention in der Notfallpsychologie

Suizidalität stellt für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte eine der größten Herausforderungen in der Notfallpsychologie dar. Suizid ist weltweit eine der häufigsten Todesursachen und betrifft Menschen aller Altersgruppen, wobei das Risiko in Krisensituationen, nach schweren Verlusten oder bei psychischen Erkrankungen deutlich erhöht ist. Insbesondere nach traumatischen Ereignissen, plötzlichen Verlusten oder im Zusammenhang mit psychischen Krisen steigt die Suizidgefahr deutlich an.

Risikofaktoren und Warnsignale:
Zu den wichtigsten Risikofaktoren zählen frühere Suizidversuche, psychische Erkrankungen (v. a. Depressionen, Suchterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen), akute Lebenskrisen, soziale Isolation und Perspektivlosigkeit. Warnsignale können direkte oder indirekte Ankündigungen, Rückzug, Hoffnungslosigkeit, plötzliche Verhaltensänderungen oder das Verschenken von Wertgegenständen sein.

Interventionsprinzipien:
Die Notfallpsychologie setzt auf eine rasche, empathische und strukturierte Einschätzung der Suizidalität. Zentral ist die offene Ansprache suizidaler Gedanken. Entgegen dem Mythos, dies könne Suizidgedanken verstärken, zeigt die Forschung, dass das Gespräch entlastend wirkt und Hilfe ermöglicht. Die Beziehungsgestaltung und Gesprächsführung orientieren sich an Wertschätzung, aktiver Zuhörbereitschaft und klarer Krisenintervention. Bei akuter Suizidalität steht die Sicherung der Person im Vordergrund, ggf. unter Einbeziehung von Notarzt, Psychiatrie oder Krisendiensten.

Prävention und Nachsorge:
Zur Prävention gehören Aufklärung, die Schulung von „Gatekeepern“ (z. B. Lehrkräfte, SozialarbeiterInnen, Führungskräfte), die Förderung von Resilienz und der Ausbau von Unterstützungsnetzwerken. Nach einem Suizid ist die Begleitung von Angehörigen und betroffenen Gruppen ein zentrales Feld der Notfallpsychologie, um „Ansteckungseffekte“ (Werther-Effekt) zu verhindern und Trauerprozesse zu begleiten. In Schulen, Betrieben und Organisationen werden nach Suiziden häufig Krisenteams aktiviert, die strukturierte Nachsorge und Gespräche anbieten.

Großschadensereignisse und Katastrophen

Großschadensereignisse und Katastrophen wie Naturkatastrophen, Terroranschläge, schwere Unfälle oder Pandemien stellen eine besondere Herausforderung für die Notfallpsychologie dar. Sie betreffen häufig eine große Anzahl von Menschen gleichzeitig und erfordern eine koordinierte und interdisziplinäre psychosoziale Unterstützung. Die Erfahrungen aus Hochwasserlagen, Terroranschlägen oder der Covid-19-Pandemie zeigen, wie wichtig die psychosoziale Begleitung sowohl für direkt Betroffene als auch für Einsatzkräfte und die Gesamtgesellschaft ist. Mobile Krisenteams, Hotlines, Gruppenangebote und die enge Zusammenarbeit mit lokalen Strukturen haben sich als wirksam erwiesen.

Psychische Dimension und Belastungen:
Neben den unmittelbaren physischen Schäden sind die psychischen Folgen oft gravierend und langanhaltend. Betroffene erleben Kontrollverlust, Angst, Unsicherheit, Trauer und häufig auch  Schuldgefühle. Auch Einsatzkräfte, Helferinnen und Helfer und Angehörige sind stark belastet und benötigen spezifische Unterstützung.

Strukturen und Vorgehensweisen:
Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) und Krisenmanagement sind im Katastrophenschutz fest verankert. NotfallpsychologInnen arbeiten in Care-Teams, Kriseninterventionsteams und als Teil der Stäbe für Katastrophenschutz. Sie leisten Akuthilfe, begleiten Evakuierungen, unterstützen bei der Identifikation und Betreuung von Verletzten und Angehörigen und koordinieren die Nachsorge.

Phasenmodelle und Interventionsprinzipien:
Die Interventionen orientieren sich an Phasenmodellen der Psychotraumatologie (Hobfoll et al., 2007). In der Akutphase stehen Sicherheit, Orientierung, Information und die Aktivierung sozialer Unterstützung im Vordergrund. In der mittelfristigen Phase folgen Stabilisierung, Entlastungsgespräche und die Förderung von Coping-Strategien. Langfristig geht es um die Verarbeitung, die Prävention von Traumafolgestörungen und die Rückkehr in den Alltag.

Besonderheiten und Herausforderungen:
Großschadensereignisse erfordern besondere organisatorische und strukturelle Abläufe: Die Zusammenarbeit mit Blaulichtorganisationen, die Koordination von Hilfsangeboten, die Berücksichtigung kultureller und sprachlicher Unterschiede sowie die Kommunikation mit Medien sind zentrale Aufgabenfelder. PsychologInnen müssen flexibel, belastbar und gut vernetzt sein, um in komplexen Lagen wirksam helfen zu können.

Helfende und Einsatzkräfte: Sekundäre Traumatisierung und Psychohygiene

Nicht nur direkt Betroffene, sondern auch Helfende – also Einsatzkräfte, psychosoziale Fachkräfte und ehrenamtliche Unterstützende – sind in Notfallsituationen erheblichen psychischen Belastungen ausgesetzt. Sie erleben oft wiederholt Extremsituationen und werden mit Leid, Tod und Lebenskrisen konfrontiert. Dies kann zu einer sekundären Traumatisierung führen, d.h. zu psychischen Symptomen, die denen der direkt Betroffenen ähneln.

Typische Belastungen für Helfende sind:

  • Wiederholte Konfrontation mit schweren Unfällen, Tod, Gewalt oder Suizid
  • Gefühl der Ohnmacht, wenn keine Hilfe mehr möglich ist
  • Schuldgefühle, Versagensängste oder Wut über das Geschehene
  • Belastende Teamdynamiken, fehlende Anerkennung oder Überforderung durch hohe Einsatzdichte

Psychohygiene und Prävention sekundärer Traumatisierung sind daher zentrale Aufgaben der Notfallpsychologie:

  • Supervision und kollegiale Beratung: Die regelmäßige Reflexion von Einsatzerfahrungen in einem geschützten Rahmen hilft, Belastungen zu verarbeiten und Warnsignale frühzeitig zu erkennen.
  • Strukturierte Nachbesprechungen: Modelle wie Defusing und Debriefing (CISM) bieten einen Rahmen, um emotionale Eindrücke zu ordnen und soziale Unterstützung zu aktivieren.
  • Selbstfürsorge und Resilienzförderung: Psychoedukation, Achtsamkeit, gesunde Lebensführung und das Setzen persönlicher Grenzen sind wichtige Schutzfaktoren.
  • Organisatorische Maßnahmen: Führungskräfte sollten auf angemessene Einsatzzeiten, Pausen und Zugang zu professioneller Unterstützung achten.

Die Forschung zeigt, dass professionelle Helfende zwar meist über spezifische Coping-Strategien verfügen, aber dennoch nicht vor Überlastung geschützt sind – insbesondere bei Großschadensereignissen, bei denen auch die eigenen Ressourcen an ihre Grenzen stoßen können.

Weitere besondere Gruppen: Angehörige, Zeugen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen

Neben Kindern, Jugendlichen und Helfenden benötigen auch Angehörige, Zeugen, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen oder Personen mit Migrationshintergrund oft spezifische Unterstützung in Notfallsituationen. Sprachliche und kulturelle Barrieren, fehlende soziale Netzwerke oder gesundheitliche Einschränkungen können die Verarbeitung erschweren und erfordern angepasste, kultursensible Interventionen.

Prävention in der Notfallpsychologie

Prävention ist ein zentrales, aber oft unterschätztes Aufgabenfeld der Notfallpsychologie. Sie zielt darauf ab, Einzelpersonen, Teams und Organisationen bereits vor dem Eintritt eines Notfalls zu stärken, um die Wahrscheinlichkeit schwerer psychischer Belastungsfolgen zu verringern und die individuelle wie kollektive Resilienz zu fördern.

Präventive Maßnahmen setzen auf mehreren Ebenen an:

  • Schulungen und Trainings: Regelmäßige Fortbildungen und Verhaltenstrainings für Mitarbeitende, Führungskräfte und besonders gefährdete Berufsgruppen (z. B. Einsatzkräfte, Bankangestellte, Lokführer) bereiten auf potenziell belastende Ereignisse vor. Sie vermitteln Wissen über typische Stressreaktionen, Bewältigungsstrategien und den Umgang mit Betroffenen.
  • Peer-Support und kollegiale Ansprechpartner: Der Aufbau von Peer-Support-Systemen, in denen speziell geschulte KollegInnen als erste Ansprechpartner fungieren, hat sich als besonders wirksam erwiesen. Diese Peers erkennen früh Belastungssymptome und können niederschwellig unterstützen oder weitervermitteln.
  • Krisenmanagement und Notfallpläne: Die Entwicklung und regelmäßige Aktualisierung von Krisen- und Notfallplänen sowie die Schulung im Bereich Krisenkommunikation sorgen dafür, dass im Ernstfall klare Abläufe und Ansprechpartner bekannt sind. Dies reduziert Unsicherheit und fördert die Handlungsfähigkeit.
  • Stärkung von Ressourcen und Resilienz: Präventionsangebote zielen darauf ab, individuelle und soziale Ressourcen zu stärken, die Selbstwirksamkeit zu fördern und die Widerstandsfähigkeit von Teams und Organisationen zu erhöhen. Dazu gehören Workshops zu Stressbewältigung, Achtsamkeit und sozialer Unterstützung.
  • Informationsvermittlung: Präventionsmaßnahmen beinhalten auch die gezielte Aufklärung über psychische Belastungen, typische Reaktionen auf Notfälle und das Angebot von Unterstützungsstrukturen sowohl für direkt als auch für indirekt Betroffene wie Angehörige, Augenzeugen oder Führungskräfte.

Im Unternehmens- und Behördenkontext ist Prävention nicht nur eine Frage der Fürsorgepflicht, sondern auch ein wirtschaftlicher Faktor: Gut vorbereitete Mitarbeitende und Führungskräfte können im Ernstfall schneller und angemessener reagieren, was die Wahrscheinlichkeit von Langzeitfolgen und Ausfallzeiten senkt.

Insgesamt ist Prävention in der Notfallpsychologie weit mehr als reine Vorbereitung: Sie schafft ein unterstützendes Umfeld, in dem Menschen Krisensituationen besser meistern, und trägt dazu bei, die psychische Gesundheit nachhaltig zu schützen (Eigenformulierung, vgl. Hausmann, 2021).

Ausbildung, Qualifikation und Tätigkeitsfelder

Der Weg in die Notfallpsychologie führt meist über ein Psychologiestudium und eine darauf aufbauende Weiterbildung, etwa das Curriculum Notfallpsychologie der Deutschen Psychologen Akademie. Die Ausbildung umfasst Grundlagen, Methoden, Arbeit mit spezifischen Zielgruppen, Großschadensereignisse, Interventionsplanung und Supervision. Nach Abschluss und Kolloquium kann das Zertifikat „FachpsychologIn für Notfallpsychologie (BDP)“ erworben werden.

NotfallpsychologInnen arbeiten in vielen Bereichen: bei Polizei, Feuerwehr, Schulen, Krankenhäusern, Unternehmen, in Kriseninterventionsteams oder als freiberufliche Fachkräfte. Die Arbeit ist abwechslungsreich und oft herausfordernd, aber immer sinnstiftend mit großer gesellschaftliche Bedeutung.

Eine kurze Vorstellung des Tätigkeitsfeldes der Notfallpsychologie von Florian Stoeck von der Fachgruppe Notfallpsychologie der Sektion Klinische Psychologie im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen.

Fazit

Notfallpsychologie ist ein vielseitiges, gesellschaftlich relevantes Arbeitsfeld, das wissenschaftliche Methoden mit Empathie und Flexibilität verbindet. Sie bietet vielfältige Einsatzmöglichkeiten von der Akuthilfe über die Prävention bis zur Nachsorge. Wer sich für dieses Feld interessiert, findet in Fachgruppen und Netzwerken vielfältige Möglichkeiten zur Weiterbildung, zum Austausch und zur Mitgestaltung aktueller Entwicklungen.

Weitere Informationen, aktuelle Kontakte sowie vertiefende Materialien zur Notfallpsychologie finden Sie auf dem zentralen Notfallpsychologie-Netzwerk des BDP: notfallpsychologie.net

Quellen / weiterführende Literatur:

 

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