Change TalkMotivational InterviewingMotivierende Gesprächsführung

Mit Motivierender Gesprächsführung gelingt es, Zweifel zu überwinden und Motivation für positive Veränderungen im Leben zu entwickeln.

Inhalt:

  1. Ursprung und Entwicklung der Motivierenden Gesprächsführung
  2. Grundhaltung und Prinzipien der MI
  3. Flexibel und prozessorientiert: Die vier zentralen Schritte der Motivierenden Gesprächsführung

Veränderungen einzuleiten und nachhaltig umzusetzen, fällt vielen Menschen schwer, insbesondere wenn Unsicherheit oder Zweifel im Spiel sind. Die Motivierende Gesprächsführung (oder auch Motivational Interviewing) bietet einen evidenzbasierten Ansatz, um Menschen in ihrer Veränderungsbereitschaft zu unterstützen. Mit einer wertschätzenden Grundhaltung und gezielten Gesprächstechniken hilft MI, Ambivalenzen zu klären und nachhaltige Motivation für neue Wege zu entwickeln.

Ursprung und Entwicklung der Motivierenden Gesprächsführung

Die intrinsische Motivation von PatientInnen ist ein zentraler Faktor für den Erfolg therapeutischer Prozesse. Fehlt diese Motivation, kann dies den Beginn einer Therapie erschweren und das Erreichen der Therapieziele gefährden. In der Vergangenheit wurde versucht, PatientInnen mit geringer Veränderungsbereitschaft durch rationale Argumente oder Druck zu einer Therapie zu bewegen. Diese direktiven Methoden führten jedoch häufig zu Widerstand und Reaktanz, anstatt die Motivation zu fördern.

Um diesen Herausforderungen zu begegnen, entwickelten William R. Miller und Stephen Rollnick in den 1980er Jahren die Motivierende Gesprächsführung (MG; englisch: Motivational Interviewing, MI). Inspiriert von der klientenzentrierten Gesprächsführung nach Carl Rogers, entstand eine Methode, die auf Partnerschaft, Wertschätzung und Ressourcenorientierung setzt.

MI untersucht, wie Menschen im Alltag spontan über Veränderungen sprechen, und zieht daraus Schlüsse für die Gestaltung wirksamer Gespräche in Beratung und Therapie. Immer wieder zeigt sich, dass Veränderungsgespräche trotz guter Absichten ins Stocken geraten oder sogar kontraproduktiv verlaufen, z.B. wenn GesprächspartnerInnen versuchen, Veränderungen zu erzwingen oder zu sehr zu überzeugen. Um mit diesen Schwierigkeiten konstruktiv umzugehen und die Veränderungsmotivation gezielt zu fördern, wurde MI entwickelt.

Im Mittelpunkt steht die Erkenntnis, dass Sprache nicht nur Einstellungen widerspiegelt, sondern diese auch aktiv beeinflusst. MG zielt darauf ab, einen Gesprächsrahmen zu schaffen, in dem Menschen aus eigenem Antrieb und auf der Basis ihrer persönlichen Werte und Interessen über Veränderung sprechen. So entsteht Veränderungsbereitschaft nicht durch Druck von außen, sondern durch die eigene Auseinandersetzung mit dem Thema.

William R. Miller


Die Art, in der ein Gespräch geführt wird, kann die Motivation (oder Verschlossenheit) des Klienten steigern oder senken wie ein Radioregler die Lautstärke.


Passende Seminare zum Thema Motivational Interviewing

Grundhaltung und Prinzipien der MG

Die therapeutische Grundhaltung („MI Spirit“)

Im Zentrum der MG steht eine bestimmte therapeutische Grundhaltung, die auch als „MI Spirit“ bezeichnet wird. Sie ist gekennzeichnet durch:

  • Partnerschaftlichkeit: TherapeutIn und PatientIn arbeiten in MI als gleichberechtigte Partner zusammen. Ziel ist ein respektvoller Dialog auf Augenhöhe, bei dem Veränderung gemeinsam und nicht von außen erzwungen wird – beide bewegen sich gemeinsam in Richtung Veränderung.
  • Akzeptanz: Akzeptanz bedeutet, Menschen bedingungslos wertzuschätzen, ihre Perspektive empathisch zu verstehen, ihre Autonomie zu respektieren und ihre Stärken zu würdigen. Es geht nicht darum, ein Verhalten gutzuheißen, sondern darum, jedem Menschen mit Respekt und Vertrauen zu begegnen und Veränderung zu ermöglichen, indem Akzeptanz statt Verurteilung vermittelt wird. Die Definition von Akzeptanz, welche Miller und Rollnick zugrundelegen gründet weitgehend auf der Arbeit von Carl Rogers und umfasst vier Hauptaspekte: Bedingungsfreie positive Wertschätzung, Empathie, Unterstützung der Autonomie und Würdigung.
  • Mitgefühl: Mitgefühl heißt, das Wohlbefinden des Gegenübers aktiv in den Mittelpunkt zu stellen und im besten Interesse der anderen Person zu handeln. Es geht nicht um Mitleid, sondern um echtes Engagement dafür, dass der andere profitiert – frei von Eigeninteressen.
  • Evokation: Evokation bedeutet, vorhandene Stärken, Werte und Veränderungsmotive der PatientInnen hervorzulocken, statt Defizite zu suchen oder Lösungen vorzugeben. Die Motivation zur Veränderung wird aus dem Inneren der Person aktiviert, indem ihre eigenen Argumente und Ressourcen ins Zentrum gestellt werden.

Diese Haltung schafft eine vertrauensvolle Beziehung, die den Veränderungsprozess maßgeblich unterstützt.

Motivierende Gesprächsführung nutzt gezielte Gesprächstechniken, um Veränderungsprozesse anzuregen und zu begleiten.

Die vier Grundprinzipien der MG

Die therapeutische Grundhaltung spiegelt sich in den vier zentralen Prinzipien der Motivierenden Gesprächsführung wider. Diese Interventionsprinzipien dienen als aktive Kommunikationsleitlinien. 

  1. Empathie zum Ausdruck bringen: Durch aktives, urteilsfreies Zuhören werden die Gefühle und Perspektiven der PatientInnen verstanden und wertgeschätzt. Dies schafft eine Atmosphäre des Vertrauens, in der Menschen sich öffnen und ihre Gedanken frei äußern können.
  2. Widersprüche entwickeln: Ambivalenzen und Widersprüche zwischen aktuellem Verhalten und eigenen Zielen oder Werten werden gemeinsam erarbeitet. Dies hilft den PatientInnen, ihre eigenen Beweggründe für die Veränderung zu erkennen und die innere Motivation zu stärken.
  3. Widerstand umlenken: Widerstand wird als normaler Bestandteil des Veränderungsprozesses gesehen und nicht konfrontativ, sondern akzeptierend und lenkend behandelt. Statt gegen den Widerstand zu argumentieren, wird er respektiert und als Chance genutzt, neue Perspektiven zu ermöglichen.
  4. Selbstwirksamkeit fördern: PatientInnen werden in ihrem Glauben an die eigene Veränderungsfähigkeit bestärkt. Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wird gezielt gefördert, so dass Veränderung als machbar und erreichbar erlebt wird.

aus Stephen Rollnick, William R. Miller, Motivierende Gesprächsführung


MI ist kein Verfahren, um Menschen mit Tricks zur Veränderung zu bewegen, sondern eine Methode, mit der wir ihre eigene Motivation und ihre eigenen Veränderungsressourcen aktivieren können.


Flexibel und prozessorientiert: Die vier zentralen Schritte der Motivierenden Gesprächsführung

Motivierende Gesprächsführung wird in der heutigen Praxis nicht mehr als starres Zwei-Phasen-Modell verstanden. Stattdessen beschreibt die neuere MG-Literatur vier zentrale, sich teilweise überlappende Prozesse, die flexibel an die jeweilige Situation angepasst werden:

  1. Beziehungsaufbau (Engaging): Am Anfang steht der Aufbau einer vertrauensvollen und respektvollen Arbeitsbeziehung. Erst auf dieser Basis kann ein offener und konstruktiver Dialog entstehen.
  2. Fokus finden (Focusing): Gemeinsam mit den Patient:innen wird herausgearbeitet, welches Thema oder Ziel im Mittelpunkt des Gesprächs stehen soll. Der Fokus kann sich im Laufe des Gesprächs verändern und wird immer wieder gemeinsam überprüft.
  3. Evokation (Evokation): In diesem Prozess werden die persönlichen Gründe, Wünsche und Argumente für eine Veränderung aus den Patient:innen selbst herausgearbeitet. Ziel ist es, die Eigenmotivation zu stärken und den „Change Talk“ zu fördern.
  4. Planung (Planning): Wenn ausreichend Motivation und Klarheit über das Veränderungsziel vorhanden sind, werden gemeinsam konkrete Schritte und Strategien zur Umsetzung entwickelt.

Diese vier Prozesse müssen nicht in einer festen Reihenfolge ablaufen, sondern können sich überschneiden oder wiederholt durchlaufen werden. Der Beratungsprozess bleibt so flexibel und individuell auf die Bedürfnisse der PatientInnen abgestimmt.

Um die vier Prozesse der Motivierenden Gesprächsführung effektiv zu gestalten, bedarf es spezifischer kommunikativer Kernkompetenzen. Dazu gehören das offene Fragen, die Wertschätzung, das reflektierende Zuhören, das Zusammenfassen sowie das situationsgerechte Informieren und Beraten. Diese Kompetenzen werden in allen MG-Prozessen flexibel und strategisch eingesetzt und bilden die Grundlage für eine unterstützende, wertschätzende und zielgerichtete Begleitung von Veränderungsprozessen. Ihre Anwendung variiert je nach Prozess, bleibt aber immer zentral für die Wirksamkeit von MG.

Motivierende Gesprächsführung ist also viel mehr als eine Ansammlung von Gesprächstechniken. Es ist eine Haltung, die auf Respekt, Partnerschaftlichkeit und Vertrauen in die Veränderungsfähigkeit jedes Menschen beruht. Durch den bewussten Einsatz der vier Prozesse und der zentralen Kernkompetenzen können Menschen in ihrer Eigenmotivation gestärkt und nachhaltige Veränderungen ermöglicht werden. Die Methode ist wissenschaftlich fundiert, flexibel einsetzbar und hat sich in vielen Bereichen bewährt.

Wer Motivierende Gesprächsführung in der Praxis anwendet, unterstützt nicht nur die Entwicklung von Veränderungsbereitschaft, sondern fördert auch Selbstbestimmung und Selbstwirksamkeit. Damit leistet MG einen wichtigen Beitrag für erfolgreiche Veränderungsprozesse und eine wertschätzende, unterstützende Begleitung auf dem Weg zu neuen Zielen.

Weiterführende Literatur:

Miller, W. R. (2015). Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing: 3. Auflage des Standardwerks in Deutsch (4. Aufl). Lambertus Verlag.

Weitere Beiträge

Vorteile für BDP-Mitglieder
Allgemein

Vorteile für BDP-Mitglieder

mehr lesen
Finanzpsychologie – Ein Interview mit Psychologin Julia Thiele
Wirtschaftspsychologie

Finanzpsychologie – Ein Interview mit Psychologin Julia Thiele

mehr lesen
Angst vor dem Autofahren
Verkehrspsychologie

Angst vor dem Autofahren

mehr lesen

zum Magazin