Wie viel Arbeit ist gesund? Zum Umgang mit arbeitsbedingten Erkrankungen in der Psychotherapie

Hohe Qualitätsanforderungen, starker Termindruck und eine große Arbeitsmenge - Stress am Arbeitsplatz und seine Folgen für die psychische und somatische Gesundheit ist ein Thema, das in Psychotherapien häufig zur Sprache kommt. PsychotherapeutInnen stehen bei durch die Arbeitsbedingungen mitbedingten Störungen vor der Herausforderung, auch die Arbeitssituation ihrer PatientInnen differenziert zu analysieren  und deren Kompetenzen zum Umgang mit beruflichem Stress zu stärken. Mit der vertieften Kenntnis wissenschaftlich erforschter Arbeitsbedingungen können PsychotherapeutInnen die individuelle Situation ihrer PatientInnen exakter reflektieren und sie besser unterstützen, gesundheitserhaltende Verhaltensweisen zu entwickeln.

Ein kurzes Beispiel aus meiner Praxis:

Kerstin (Name geändert) ist eine engagierte Mitarbeiterin. Wochenlang bewältigte sie eine große Arbeitsmenge, stand unter Zeitdruck und erfüllte hohe Qalitätsansprüche – doch dann erkrankte sie. In der Psychotherapie entschließt sie sich, mit ihrem Vorgesetzten über ihre belastende Situation zu sprechen. „Ich schaffe das nicht mehr“, möchte sie ihm sagen. Ich erzähle ihr von einer wirtschaftspsychologischen Untersuchung, nach der Vorgesetzte dazu neigen, Arbeitsprobleme als individuell bedingt anzusehen und entsprechend erwarten, dass der Mitarbeiter sie eigenständig überwindet. MitarbeiterInnen dagegen sind der Überzeugung, dass das Problem strukturell verursacht sei und erhoffen sich vom Vorgesetzten eine Entscheidung, die sie entlastet. Gemeinsam entwickeln Kerstin und ich eine strategisch günstige Gesprächsführung mit der Kernaussage:  „Die Arbeitsquantität ist von einer Person allein nicht mehr zu bewältigen.“ Kerstin gelingt es, den Vorgesetzten zu überzeugen – und erfährt nicht nur konkrete Arbeitslösungen, sondern auch persönliche Wertschätzung und Anerkennung. Nach weiteren Entwicklungsschritten beendet sie die  Psychotherapie nach wenigen Monaten.

Etwa 25 % der Arbeitenden in Europa fühlen sich im Beruf gestresst, auch im Stressreport 2012 sind einige Belastungen aufgeführt. Burn out und Depressionen nahmen in den letzten Jahren deutlich zu. Nun können dieselben Faktoren bei verschiedenen Arbeitnehmern völlig unterschiedlich wirken: Was für die einen eine spannende Herausforderung darstellt (Eustress), belastet andere  (Distress). Je nach aktueller Situation, persönlicher Stressbewältigung-Kompetenz, Einstellungen und  der Persönlichkeitsstruktur erfolgt eine positive oder eine negative Verarbeitung der Stressoren.

Als Psychotherapeutin setze ich mir das Ziel, PatientInnen bei diesen wachsenden Belastungen so zu behandeln, dass sie sich ihrer Kompetenz, ihrer Leistungsmotivation und ihrer Persönlichkeitsstruktur deutlicher bewusst werden und prüfen können, inwiefern sie mit den Anforderungen der Arbeitsstelle übereinstimmen. Dazu finde ich es hilfreich, differenziert zu analysieren, ob der Patient eher unter strukturellen Faktoren leidet (Arbeitsinhalte, Dauer, Tempo, Qualität), unter interpersonellen (Leistungsdruck, Führungsverhalten des Vorgesetzten, Teamarbeit) oder eher individuellen (Selbstbild, eigene Ansprüche, Selbstkontrollüberzeugung, Belastbarkeit).

Mit der gewonnenen Erkenntnis kann zwei extremen Attribuierungen besser begegnet werden: Manche PatientInnen interpretieren ihre Erkrankung als external bedingt (vor allem bei Burn out), andere PatientInnen deuten sie als internal verursacht (oft bei Depressionen). Indem der Patient durch die systematische Reflexion sein Selbst- und Fremdbild überprüft, kann er noch nicht gelebte Ressourcen entdecken und aktivieren, Distanz zu den Stressoren gewinnen und eine gesundheitsfördernde Arbeitseinstellung erreichen. Als längerfristige Stressbewältigungs-Kompetenz ist für mich auch die Stärkung der Resilienz ein Therapieziel: die Fähigkeit, Situationen als persönlich handhabbar, verstehbar und sinnhaft zu deuten (Antonovsky).

Sigrun Koch

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