Psychodynamik – Humor in der psychodynamischen Therapie

Humor muss nicht in die psychodynamische Therapie eingeführt werden. Er ist immer schon in ihr enthalten.

Freuds Humor

Freud lieferte in mehreren seiner Schriften äußerst kreative und wegweisende theoretische Beiträge zum Verständnis von Humor. Wenn Humor – wie Freud urteilt – eine der höchsten psychischen Leistungen des Menschen darstellt, sollte er dann nicht auch jenseits der psychoanalytischen Literaturtheorie und Metapsychologie seinen Platz in der therapeutischen Praxis haben? Obwohl sich hierfür einige Ansatzpunkte böten, unterließ Freud es, die Bezüge seiner Humortheorie zur therapeutischen Anwendung der Psychoanalyse auszuarbeiten. Dies blieb und bleibt eine der Aufgaben seiner Nachfolger.

Humor und Deutung

Am Ende einer Stunde, in deren Verlauf eine Patientin berichtete, wie ihr Vater ihr in der Kindheit Bücher mit sexuellen oder aggressiven Inhalten immer mit den Worten „Dieses Buch ist nur für Männer“ verweigert habe, entdeckt die Patientin im Bücherregal ihres Analytikers ein interessantes psychoanalytisches Buch und fragt spontan, ob sie es sich leihen dürfe. Ihr Therapeut antwortet: „Nein, das ist nur für Männer.“ Die Patientin muss lachen.

Humor eröffnet auf behandlungstechnischer Ebene die Möglichkeit, dass eine aus dem Bewusstsein ausgeschlossene innere Gefahr, ein alles andere als lächeln machender Inhalt, in einem Modus bewusst zu werden vermag, in welchem sich das Bedrohliche nicht mehr als bedrohlich erweist. Humor erscheint im Prozess einer psychodynamischen Therapie im Zusammenhang mit der gelingenden und Veränderung ermöglichenden Vorführung des Unbewussten.

Wenn Deuten nichts anderes meint als die Verbalisierung einer Hypothese über einen unbewussten Sinnzusammen-hang, dann rückt Humor in seiner technischen Funktion in die Nähe einer Deutung. Zugleich geht er in einem entscheidenden Punkt über das mit der obigen Minimaldefinition der Deutung Umrissene hinaus: Es scheint, im Humor wird eine Hypothese über einen unbewussten Sinnzusammenhang weniger verbalisiert, sondern vielmehr getestet. Humor geht es damit zwar um Bewusstmachung des Unbewussten und somit um die Einsicht der „paternistischen Vernunft-Tech-nik“ (Model Freud: Sich-in-den-Weg-Stellen – Übertragung –  Wiederholung – Deutung – Einsicht). Jedoch liegt der Akzent hierbei nicht auf dem Kognitiv-Verbalen, sondern auf einer Form des Erlebens, welche klassischerweise eher mit der „mütterlichen Liebes-Technik“ in Verbindung gebracht wird (Modell Ferenczi: Sich-zur-Verfügung-Stellen – Beziehung – Hier-und-Jetzt – emotionale Erfahrung – Neubeginn).

Haha-Effekt und Aha-Effekt

Damit zeichnet sich ab, wie Humor in psychodynamischen Therapien nicht lediglich als eine naheliegende Möglichkeit der Beziehungsregulation, der Allianzstärkung und der Ressourcenaktivierung genutzt werden kann, sondern wie er im Herzen des psychodynamischen Therapieunternehmens, an der Schnittstelle von Deutung, Einsicht und Neuerfahrung wirksam ist.

Das Spezifische von therapeutisch wirksamem Humor lässt sich im psychodynamischen Kontext pointierter formulieren: Das Leiden, die Widersprüche, Ungereimtheiten, die Paradoxien und Konflikte des (neurotischen) Lebens, auf welche humoristisch-deutend gezeigt wird, sind ernst. Die Art und Weise des Zeigens aber ist scherzend. Es geht im Humor nicht darum, über etwas hinweg, sondern auf etwas hin zu scherzen.

Der Haha-Effekt lustvollen Lächelns und der Aha-Effekt realitätsorientierter Einsicht gehen miteinander Hand in Hand, wenn Humor als eine Weise ungesättigten Deutens dazu genutzt wird, spielerisch auf den Ernst der Übertragung hin zu scherzen.

Dr. Kai Rugenstein, Berlin