Verkehrspsychologie

Angst vor dem Autofahren

Angst vor dem Autofahren schränkt viele Menschen stark ein – dabei ist sie gut behandelbar. Der Artikel zeigt aktuelle Diagnostik und Therapieansätze.
Angst vor dem Autofahren

Die Angst vor dem Autofahren ist ein weitverbreitetes Phänomen, das zu hohem Leidensdruck führen kann. Insbesondere in ländlichen Regionen, in denen – bei Vermeidung des Autofahrens – kein gut ausgebauter öffentlicher Personennahverkehr zur Verfügung steht, führt die Autofahrangst häufig zu erheblichen Freiheitseinbußen. Betroffene fühlen sich in ihrer Unabhängigkeit, Selbstständigkeit und Flexibilität massiv beeinträchtigt. Dies kann weitere psychische Beeinträchtigungen (z. B. Depressivität infolge von Rückzug und Isolation) nach sich ziehen und alltägliche Aktivitäten wie Einkaufen oder das Erreichen der Arbeitsstätte erschweren oder sogar verhindern.

Nicht selten halten Betroffene die Angst lange Zeit aus, bevor sie sich Hilfe suchen. Wie bei vielen anderen Ängsten geht die Autofahrangst häufig mit Schamgefühlen einher, die auch auf gesellschaftliche Erwartungen und die Annahme, dass Autofahren „völlig normal“ sei, zurückzuführen sein können. Zudem besteht häufig Unsicherheit darüber, an wen man sich mit dieser Problematik wenden kann: an eine Fahrschule, um vermutete Kompetenzdefizite zu trainieren, oder an eine Psychotherapeutin bzw. einen Psychotherapeuten? Diese Unsicherheit zeigte sich auch bei vielen Betroffenen, die sich im Rahmen des 2019 initiierten Forschungsschwerpunktes an die psychotherapeutische Universitätsambulanz in Landau wandten.

Isoliertes und komorbides Auftreten

In der klinischen Praxis zeigt sich, dass die Angst vor dem Autofahren sowohl isoliert als auch komorbid auftreten und somit Teil verschiedener Störungsbilder sein kann. Tritt sie als spezifische Phobie auf, gilt sie mit einer Lebenszeitprävalenz von 1 % als eine der häufigsten situativen Phobien (Becker et al., 2007). Sie geht dann mit einer Angst und/oder Vermeidung des Autofahrens einher, die Angst beschränkt sich auf das Autofahren oder die Gedanken daran, und es besteht eine emotionale Belastung und Einschränkung im Alltag. Wie andere Phobien ist die Angst mit physiologischen Begleiterscheinungen, wie z. B. Schwindel, Palpitationen oder einem Engegefühl in der Brust, verbunden.

Die differenzialdiagnostisch korrekte Zuordnung der Fahrangst zu einem Störungsbild ist jedoch aufgrund der Komplexität der Symptomatik nicht selten schwierig. Es sollte daher immer geprüft werden, ob beschriebene Ängste am Steuer tatsächlich isoliert auftreten, also als spezifische Phobie kodiert werden können oder ob weitere Faktoren vorliegen, die zu einer anderen Diagnose führen und somit möglicherweise ein anderes Behandlungsvorgehen erfordern.

Treten Panikattacken auch außerhalb von Fahrsituationen auf, sollte das Vorliegen einer Panikstörung in Betracht gezogen werden. Werden auch andere Situationen wie offene Plätze oder Menschenansammlungen gefürchtet und tritt die Angst nicht nur beim Autofahren auf, kann eine Agoraphobie (mit oder ohne Panikstörung) vorliegen. Als zentrales Thema der Fahrangst kann von den Betroffenen auch die Angst beschrieben werden, sich beim Autofahren peinlich und ungeschickt zu verhalten und deshalb von anderen Verkehrsteilnehmern kritisiert zu werden. In diesem Fall ist das Vorliegen einer sozialen Phobie zu prüfen. Typischerweise als Folge von erlebten Verkehrsunfällen kann sich zudem eine posttraumatische Belastungsstörung entwickeln. Darüber hinaus kann die Angst vor dem Autofahren zur Diagnose einer Zwangsstörung führen, wenn die Betroffenen unter zwanghaften Gedanken an das Autofahren leiden, z. B. befürchten, unbemerkt einen Unfall verursacht zu haben, und immer wieder gefahrene Strecken überprüfen.

Ursachen und Aufrechterhaltung der Angst

Die Ursachen von pathologischer Autofahrangst sind vielfältig, wenngleich noch nicht hinreichend untersucht. Bei Befragungen geben rund 70 bis 80 % der von Autofahrangst Betroffenen ein kritisches Ereignis, wie z. B. eine plötzliche Panikattacke am Steuer oder einen (Beinahe-)Unfall, an (Ehlers, Hofmann, Herda & Roth, 1994; Munjack, 1984). In anderen Untersuchungen zeigte sich, dass rund ein Viertel der Befragten angab, schon immer beim Autofahren ängstlich gewesen zu sein, während rund 10 % keine Erklärung für die Entwicklung ihrer Angst nennen konnten (Taylor & Deane, 1999; Taylor, Deane & Podd, 1999).

Eine Frau in Latzhose ist von hinten vor ihrem Auto zu sehen. Sie hat die Hände hinter dem Kopf in ihren Haaren verschränkt.

Autofahrangst kann belasten, doch es gibt wirksame Hilfe.

Manualisierte Behandlung

Die Unterscheidung und Berücksichtigung spezifischer dysfunktionaler kognitiver Faktoren bei der Behandlungsplanung hat sich als zielführend und hilfreich erwiesen. Eine an der Psychotherapieambulanz Landau durchgeführte randomisiert-kontrollierte Pilotstudie zur Behandlung von Autofahrängsten zeigte 2021 hochwirksame Ergebnisse (Fischer, Heider, Taylor & Schröder, 2021).

Die Behandlung folgt dem aus der Angstbehandlung bekannten expositionsbasierten Ansatz, so dass Habituation als Wirkmechanismus angenommen wird. Darüber hinaus wird den der Fahrangst zugrunde liegenden Kognitionen und Befürchtungen besondere Aufmerksamkeit geschenkt, indem je nachdem, welcher Angstfokus bei den Betroffenen im Vordergrund steht, einem von drei Behandlungspfaden gefolgt wird: So wird zwischen panikbezogenen Ängsten, unfallbezogenen Ängsten und Ängsten vor der Bewertung durch andere unterschieden. Der jeweils angenommene Wirkmechanismus besteht in der Verletzung und Korrektur von Erwartungen.

Die Behandlung, die in der benannten Pilotstudie zur Autofahrangstbehandlung durchgeführt wurde, fußt auf einem manualisierten kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlungsvorgehen. Dieses richtet sich mit 24 Therapiesitzungen explizit an jede Form von Autofahrangst, unabhängig davon, zu welcher Diagnose diese gehört.

Neben theoretischem Hintergrundwissen zur pathologischen Fahrangst enthält das Manual praktische Hinweise zur inhaltlichen Gestaltung der einzelnen Sitzungen für Behandlerinnen und Behandler sowie zahlreiche Arbeitsblätter und Materialien. Darüber hinaus werden rechtliche Aspekte, die bei der Expositionstherapie im Straßenverkehr zu beachten sind, thematisiert und nützliche Hinweise für die Kooperation mit Fahrschulen gegeben.

Vorgeschlagen wird ein abgestuftes expositionsbasiertes Vorgehen, das die Sicherheit von Betroffenen und Behandlern gewährleistet. Nach einem psychoedukativen Teil zu Beginn der Behandlung und der Erarbeitung eines individuellen Störungsmodells erfolgt zunächst eine mentale Konfrontation mit der angstauslösenden Fahrsituation. Daran schließt sich eine Exposition in vivo an, die insbesondere bei Betroffenen mit stark ausgeprägtem Vermeidungsverhalten oder geringer Fahrpraxis zunächst in einem Fahrsimulator (zunehmend in Fahrschulen vorhanden) stattfinden sollte. Im Folgenden wird eine in vivo-Exposition beschrieben, die von einem Fahrlehrer im Fahrschulauto durchgeführt und vom Behandler auf dem Rücksitz begleitet wird. Dies ermöglicht einerseits ein Eingreifen der Fahrlehrerin bzw. des Fahrlehrers bei tatsächlich auftretendem riskantem Fahrverhalten, andererseits eine fachliche Einschätzung der Fahrsicherheit, die wiederum versicherungsrechtlich die lückenlose Dokumentation der sorgfältig durchgeführten abgestuften Expositionsbehandlung unterstützt. Erst bei sicherem Fahrverhalten und vorhandener Fahrkompetenz begleiten die Behandler die Betroffenen im Auto zu weiteren Expositionen.

Hilfreiche Messinstrumente

Als zusätzlich hilfreich haben sich zwei psychometrisch umfänglich untersuchte Messinstrumente erwiesen. Zur Intensitätsmessung sowie zum Screening von Autofahrangst kann das „Instrument zur Erfassung der Autofahrangst“ (IAA; englisch: „Instrument for Fear of Driving“, IFD) herangezogen werden (Fischer, Schröder & Heider, 2021; Fischer, Schröder, Taylor & Heider, 2023). Das aus fünf Items bestehende Instrument misst die Autofahrangst in Anlehnung an die Kriterien der spezifischen Phobie des DSM-5 auf einer vierstufigen Antwortskala.

Die Entscheidung für einen der drei beschriebenen Behandlungspfade wird durch den Driving Cognitions Questionnaire (DCQ; Ehlers et al., 2007) unterstützt, der ins Deutsche übersetzt und validiert wurde (Heider, Fischer & Schröder, 2018). Der DCQ erfasst autofahrbezogene Angstkognitionen und setzt sich aus den drei Faktoren der panikbezogenen Sorgen (z. B. „Ich werde Schwierigkeiten haben zu atmen“), der unfallbezogenen Ängste (z. B. „Ich werde verletzt werden“) und der Angst vor der Bewertung durch andere (z. B. „Ich könnte durch Mitmenschen Kritik erfahren“) zusammen. In der therapeutischen Praxis dient dieser Fragebogen daher dazu, den Fokus der Fahrangst zu bestimmen. Damit gibt der DCQ im Einzelfall Hinweise zur kognitiven Umstrukturierung relevanter dysfunktionaler Autofahrangstkognitionen und kann bei der Auswahl aufzusuchender Situationen im Rahmen der Expositionen mit dem Ziel der Generierung von Erwartungsverletzungen helfen.

Mit Hilfe des Therapiemanuals können Betroffene unterstützt und Therapeutinnen und Therapeuten in die Lage versetzt werden, Hemmungen vor der Behandlung, häufig aufgrund pragmatischer Fragen die konkrete Umsetzung betreffend, abzubauen. Die Behandlung der Autofahrangst macht Freude und motiviert durch rasch sichtbaren Behandlungserfolg.

Diesen und weitere spannende Artikel finden Sie im Report Psychologie.

Dr. Carolin Goerke
Dr. Carolin Goerke

Dr. Carolin Goerke ist Psychologische Psychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der psychotherapeutischen Universitätsambulanz in Landau und promovierte zu dem Thema „Autofahrängste und deren kognitivverhaltenstherapeutische Behandlung“. Unter anderem auf Grundlage ihrer Forschungsarbeiten entstand ein Behandlungsmanual, das unter dem Titel „Angstfrei Auto fahren: Ein kognitiv-verhaltens-therapeutisches Behandlungsmanual“ beim Deutschen Psychologen Verlag veröffentlicht wurde.

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