Mit großem Interesse nahmen die Notfallpsychologinnen und -psychologen im BDP den Abschlussbericht des Beauftragten der Bundesregierung, Kurt Beck, für die Opfer und hinterbliebenen des Terroranschlages vom 19. Dezember 2016 in Berlin zur Kenntnis. Er enthält viele Anregungen für Reformen – mit dem Ziel, strukturell und organisatorisch besser auf Terror- bzw. Großschadensereignisse vorbereitet zu sein und damit eine Grundlage für ein möglichst reibungsloses Zusammenspiel der Einsatzkräfte und den effektiven Einsatz der verfügbaren Ressourcen zu schaffen. Darüber hinaus sollen Opfer und Hinterbliebene schnell, unbürokratisch und wirkungsvoll unterstützt und entschädigt werden. In diesem Prozess, insbesondere bei der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) sehen sich auch Psychologinnen und Psychologen in der Verantwortung.
Psychosoziale Notfallversorgung
Derzeit werden in der PSNV in der Akutphase (24 bis 48 Stunden nach einem Ereignis) ehrenamtlich tätige Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger sowie Notfallpsychologinnen und -psychologen eingesetzt, die von der Polizei oder der Feuerwehr alarmiert werden. Für die nachfolgende Einwirkzeit oder Stabilisierungsphase (vier bis sechs Wochen nach einem Ereignis) haben sich Interventionen zur Unterstützung des Verarbeitungsprozesses durch Notfallpsychologinnen und -psychologen oder Psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten (PP) mit traumatherapeutischen Kompetenzen bewährt.
Einsatz für qualifizierte PP
Zertifizierte Notfallpsychologinnen und -psychologen (BDP) durchlaufen ergänzend zu ihrem Diplom- oder Master-Studium ein Curriculum der Deutschen Psychologen Akademie. Sie werden vorzugsweise unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis tätig, betreuen Betroffene nach Unfällen, Überfällen, Terrorlagen oder Naturkatastrophen sowie Angehörige von Suizidanten im Zeitfenster bis sechs Wochen nach dem Ereignis und empfehlen und vermitteln nach dieser Phase bei Bedarf weiterführende Behandlungsmaßnahmen. Es hat sich in der Praxis bewährt, dass approbierte PP notfallpsychologische Kompetenzen erwerben, um in der gesamten Rettungskette nach einem traumatischen Ereignis eingesetzt werden zu können.
Das seit 2012 eingeführte sogenannte „Psychotherapeuten-verfahren“ der gesetzlichen Unfallversicherung ermöglicht PP zudem eine zügige psychologischtherapeutische Intervention nach Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten über die Unfallkassen und Berufsgenossenschaften. PP, die über spezielle fachliche Befähigungen verfügen und zur Übernahme bestimmter Pflichten bereit sind, können an diesem Verfahren beteiligt werden.
Weiterhin Versorgungslücken
Diese Strukturen zur Betreuung von Opfern, Hinterbliebenen und Einsatzkräften schließen die sich häufig nach der Akutphase auftuende Versorgungslücke nicht. Notwendig ist eine bessere öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung von psychologischen Maßnahmen der sekundären Prävention. Und nicht nur bei Großschadenslagen sondern auch im klinischen Alltag, in Schulen, Kinder- und Jugend- oder Behinderteneinrichtungen, in Behörden sowie Organisationen und Unternehmen kann der Bedarf nach notfallpsychologischer Unterstützung nach Extremereignissen oder nach Beratung zur Senkung des Risikos von Folgestörungen entstehen.
Betroffene profitieren von einer schnellen und wirksamen Unterstützung. Durch diese kann in vielen Fällen eine kostenintensive und langwierige Psychotherapie vermieden werden. Das ist auch für die Unterstützungssysteme wie Unfallkassen, Berufsgenossenschaften, Krankenkassen, oder Rentenversicherungsträger insbesondere aus Kostensicht von Vorteil.
Dr. Gerd Reimann, Potsdam
Der Autor leitet das Seminar Krisenteams im Einsatz, in der unter anderem notfallpsychologische Ansätze zur Bewältigung traumatischer Erlebnisse im Mittelpunkt stehen.