Psychologische Erste Hilfe durch kollegiale Helfer

Für die Verarbeitung von traumatischen Ereignissen spielt die professionelle Betreuung in der Akutphase eine entscheidende Rolle. Diese Betreuung kann von kollegialen Helfern (Peers) geleistet werden, die als Krisen­teams ausgewählt, geschult und eingesetzt werden. Die Mitglieder von Kriseninterventionsteams haben sowohl organisatorische als auch Betreuungsaufgaben zu erfüllen. Das Ziel der Krisenintervention durch Peers ist die Stabilisierung der Betroffenen. Das Erlebte soll rasch verarbeitet und der Ausprägung einer Posttraumatischen Belastungsstörung soll vorgebeugt werden.

Leitlinien und Qualitätsstandards für Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV)

In Organisationen wie Unternehmen und Verwaltungen ist es gesetzlich vorgeschrieben, Brandschutz- und Ersthelfer für den Bedarfsfall auszubilden und einzusetzen. Im System des Katas-trophenschutzes haben insbesondere Großschadensereignisse wie das Zugunglück 1998 in Eschede, der Amoklauf 2002 in Erfurt, die Panik auf der Love-Parade 2010 in Duisburg sowie die aktuellen Terrorlagen (zum Beispiel Nizza 2016, München 2016, Berlin 2016, Münster 2018) gezeigt, dass nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale Unterstützung nach traumatischen Ereignissen kurzfristig gewährleistet werden muss. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) hat sich im Konsensusprozess 2008 bis 2010 intensiv mit dieser Thematik befasst und Leitlinien und Qualitätsstandards entwickelt (BBK, 2012). Strukturen und Begrifflichkeiten wurden vereinheitlicht und der Begriff Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) hat sich durchgesetzt.

In Organisationen sollte unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis PSNV angeboten und geleistet werden. Derzeit werden im Katastrophenschutz, im Bereich PSNV während der Akutphase (24 bis 48 Stunden nach dem Ereignis) ehrenamtlich tätige Notfallseelsorger eingesetzt, die entweder von der Polizei oder der Feuerwehr alarmiert werden können. In Ausnahmefällen bringen Polizei und/oder Feuerwehr zum Einsatzort der betroffenen Organisation Notfallseelsorger mit. Darauf können sich die Organisationen jedoch nicht verlassen. In der Akutphase und auch in der Einwirkzeit (vier bis sechs Wochen nach dem Ereignis) kann noch keine belastbare Diagnose für psychische Störungen gestellt werden. Häufig wird dann die vorläufige F 43.0 (nach ICD-10: Akute Belastungsreaktion) verwendet. Da die damit gemeinten Personen belastet, aber gesund sind, leisten Unterstützungssysteme nicht oder nur im Ausnahmefall Hilfe. Alle Diagnosesysteme (DSM-5 oder ICD-10) erlauben die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) erst vier Wochen nach dem Ereignis. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Betroffenen gesund, aber belastet sind. Ausnahmen sind Betroffene, die bereits vor dem Ereignis eine psychische Erkrankung hatten (Komorbidität). Dennoch benötigen ca. 1/3 der betroffenen Personen (Risikogruppe) in den ersten Tagen und Wochen nach einem traumatischen Ereignis notfallpsychologische Unterstützung. Studien belegen, dass die unbetreute Risikogruppe (u. a. auch Einsatzkräfte) hoch gefährdet ist, an einer Traumafolgestörung (zum Beispiel F 43.1: PTBS) zu erkranken (Leeman-Conley, 1990). Psychotraumatische Vorbelastungen können die Entwicklung einer PTBS befördern. Dem kann durch Ressourcenverstärkung und Befähigung zur Distanzierung von den traumatischen Ereignissen entgegengewirkt werden. Im Projekt „PLOT“ fokussierten sich die Forscher auf die Unterstützung der Opfer von Terroranschlägen sowie deren Angehörige und Hilfsorganisationen. Dabei war die unvorhersehbare Erschütterung der Opfer in ihrem Selbst- und Weltverständnis bedeutsam (Bering, Schedlich, Zurek & Fischer, 2006).

Rettungskräfte und Fachkräfte im Krankenhaus vermehrt von PTBS betroffen

Insbesondere enorme Zerstörung, Tod, Schmerz und Leid erhöhen das Risiko der Rettungskräfte, im Einsatz traumatisiert zu werden. Der Anblick von Verletzten, Verstümmelten und Toten ist für die Helfer extrem belastend. Hier drohen Belastungsstörungen (PTBS), die sich in dauerhafter Übererregung (etwa Schlafstörung, Aggression), unerwartetem Wiedererleben der Situation in Flashbacks und Vermeidungsverhalten (Rückzug) zeigen (Brückner, 2005). PTBS tritt vermehrt im Krankenhaus auf: Hier wird das Personal häufig mit traumatischen Ereignissen konfrontiert. Mehr als 90 % der Mitarbeiter hatten mehr als ein traumatisches Ereignis. Hiervon leiden etwa 16,8 % unter einer PTBS (Pajonk, Cransac, Müller, Teichmann & Meyer, 2012).

Besonders gefährdet sind Intensivpflegefachpersonen, die erfolglose Reanimationen erlebten und unter erhöhtem Stress leiden. Zumeist weisen diese Personen einen schlechteren psychischen Gesundheitszustand auf und müssen mehr Bewältigungsstrategien anwenden. In verschiedenen Studien wies das betroffene Personal signifi kant höhere Werte von Stress nach einer erfolglosen Reanimation auf, und es konnten mehr PTBS-Symptome nachgewiesen werden. Zudem gibt es einen starken positiven Zusammenhang zwischen auftretenden PTBS-Symptomen und verschiedenen Bewältigungsstrategien, die beispielsweise mit Akzeptanz und hilfreicher Unterstützung einhergehen (Blosser, 2018).

Die Einsatzkräfte haben insgesamt im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (1–7 %) ein erhöhtes Risiko, an PTBS zu erkranken. Dabei unterschieden sich die Risiken zwischen der Feuer-wehr (9–32 %), den Rettungsassistenten (3–7 %) und der Polizei (5–46 %). Wird jedoch die Belastbarkeitsgrenze einer Person bedacht sowie die Persönlichkeitsstruktur der Helfer und deren familiäre Situation, so kann Belastungsreaktionen vorgebeugt werden. Vor allem der Lebenspartner bietet den Einsatzkräften eine wichtige Stütze. Jedoch überschätzen die Helfer häufig ihre eigenen Fähigkeiten, sodass sie ihr Gefühl der Ohnmacht, Hilflosigkeit, Lähmung und Trauer verschweigen. Dies verhindert die angemessene Stressverarbeitung und führt zu einem erhöhten Risiko für PTBS (Brückner, 2005).

Die aktuelle Forschung zeigt, dass durch eine korrekte Behandlung unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis das Risiko für die Entwicklung einer PTBS verringert werden kann. Der Anteil schwerer Traumata nach einem Raubüberfall nimmt ab, wenn eine Akutintervention durchgeführt wurde. Nur die wenigsten Betroffenen (1 %) empfanden die Intervention als nicht hilfreich und litten unter einer PTBS (Clemens et al., 2008). Allein das Sprechen über die Vorfälle entlastete die Person, es trat weniger PTBS auf (Zehnder, Hornung & Landolt, 2006). Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit, an PTBS zu erkranken, je nach Situation unterschiedlich hoch. So erkranken bei Gewalttaten etwa 21 % der Betroffenen, wohingegen nur 2 % durch die Traumatisierung anderer Personen erkranken (Hersberger, 2013). Durch eine sofortige Unterstützung nach einem traumatischen Ereignis wird die Vermeidungsreaktion verringert, den Betroffenen geht es subjektiv besser (Zehnder et al., 2006). Im Vergleich von Intensivpflegefachpersonen, die eine institutionelle Nachbesprechung erhalten haben, und Pfl egepersonal, dem diese Möglichkeit nicht offenstand, zeigten sich gravierende Unterschiede. Die institutionelle Nachbesprechung wirkte positiv auf den empfundenen Stress unmittelbar nach einer erfolglosen Reanimation. Hierbei haben die Bewältigungsstrategien Ablehnung, Selbstablenkung, Selbstvorwürfe und Rückzug einen signifikanten Einfl uss auf die Entwicklung von PTBS-Symptomen (Blosser, 2018). Aus diesem Grund ist eine Nachbesprechung mit dem betroffenen Personal empfehlenswert, um die krankheitsbedingten Ausfälle durch falsche Bewältigungsstrategien zu vermeiden.

Eine psychotherapeutische oder psychiatrische Intervention ist daher sowohl in der Akutphase als auch in der Einwirkzeit bei gesunden, belasteten Betroffenen kontraindiziert. Dennoch ist es gängige Praxis der Unterstützungssysteme, gesunde, belas-tete Betroffene psychotherapeutisch („fehl“-) zu versorgen. Im besten Fall bleibt diese Fehlversorgung wirkungslos und wird zumeist von den Betroffenen selbst beendet. Leider kann diese Fehlversorgungspraxis auch zu Stigmatisierung oder Psychiatrisierung führen.

Peers: Psychosoziale Notfallhilfe durch kollegiale Helfer

Es gehört zur Fürsorgepflicht öffentlicher und privater Arbeitgeber, psychosoziale Notfallhilfe im Bedarfsfall anbieten zu können. Das kann durch ein externes Kriseninterventionsteam oder durch kollegiale Helfer, die sogenannten Peers, ermöglicht werden. In der Akutphase sind die von Arbeitgebern eingesetzten Peers die beste Lösung. Sie kennen die Organisationsstruk-tur und -kultur und sind direkt vor Ort, sodass die Unterstützung zeit- und arbeitsplatznah umgesetzt werden kann. Während es noch immer Hemmschwellen gibt, Psychologen, Psychotherapeuten oder Psychiater aufzusuchen, zeigen die Erfahrungen der letzten Jahre, dass die Peer-Unterstützung gut angenommen wird.

Die Peers sollten auf ihre verantwortungsvolle Tätigkeit gut vorbereitet werden. Die Ausbildung von Peers war bisher nicht einheitlich geregelt. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat diese Lücke erkannt und im Oktober 2017 eine DGUV-Information 206-023 mit dem Titel „Standards in der betrieblichen psychologischen Erstversorgung bei traumatischen Ereignissen“ herausgegeben (Erb, Gehrke, Hetmeier & Pangert, 2017).

Der Peer-Einsatz versteht sich als präventive Maßnahme. Er ermöglicht es, nicht nur Traumatisierungen, sondern auch psychische Erkrankungen vorzubeugen, die sich infolge stark belastender Ereignisse entwickeln können. Dazu zählen posttraumatische Belastungs- und Anpassungsstörungen, Depressionen, Angststörungen und substanzbezogenen Störungen. Ob und wie Peer-Hilfe geleistet wird, kann ausschlaggebend dafür sein, dass die Betroffenen das traumatische Ereignis verarbeiten können oder ob sie sich (frühestens nach 4–6 Wochen) einer trauma- oder psychotherapeutischen Behandlung unterziehen müssen.

Das Ziel der Betreuung besteht darin, psychische Belastungen zu reduzieren, aktuelle Bedürfnisse zu erkennen und angemessenes Verhalten zu begünstigen. Nach der DGUV-Information 206-023 sind die Zielgruppen für eine Peer-Unterstützung die Betroffenen und Opfer von Unfällen, Überfällen, Terrorlagen und Naturkatastrophen sowie Kollegen, Angehörige, Zeugen und Vermissende (Erb et al., 2017). Kernelement der Peer-Unterstützung ist der angemessene Kontakt zum Betroffenen, diesen zu beruhigen und zu entlasten. Es wird zur Stabilisierung und Normalisierung beigetragen, bei Betroffenen wird ein Gefühl von Sicherheit gefördert. Soziale Ressourcen werden erkannt und aktiviert, die Selbstwirksamkeit und das Kontrollerleben der Person gestärkt. Auch die aktuellen Bedürfnisse sollen berücksichtigt und Informationen zur Bewältigung und Psychoedukation gegeben werden. Des Weiteren werden die Betroffenen über weitere psychosoziale Kontakte informiert (Erb et al., 2017).

Prinzipiell kann sich jeder zum Peer ausbilden lassen, wobei persönliche Mindeststandards erfüllt werden müssen. Dazu zählen die Kommunikations-, Kontakt- und Konfliktfähigkeit sowie Empathie und Einfühlungsvermögen. Die Person muss zudem vertrauenswürdig sein und eine stabile Persönlichkeit und Belastbarkeit aufweisen. Auch Souveränität, die Kenntnis der eigenen Grenzen und Selbstreflexionsfähigkeit sowie klares Aufgaben- und Rollenverständnis sind wichtig. Die Akzeptanz bei Beschäftigten und Führungskräften sowie Freiwilligkeit sind entscheidend (Erb et al., 2017).

Das Konzept für die Peer-Ausbildung wurde in den letzten 25 Jahren nach zahlreichen Einsätzen der vom Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) zertifizierten Notfallpsychologen erarbeitet. Diese Einsätze betrafen die Nachbetreuung von Betroffenen nach Raubüberfällen, Geisellagen, Suiziden, Arbeitsunfällen mit Verletzten oder Verstorbenen sowie Einsätze in Großschadenslagen. Die Peer-Ausbildung wird von der Deutschen Psychologen Akademie GmbH angeboten.

Die Deutsche Psychologen Akademie organisiert in Kooperation mit der BDP-Landesgruppe NRW und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe eine Infoveranstaltung zum Thema „Gesund in die Zukunft“ am 21. Februar 2019 mit Vorträgen zu Chancen und Nutzen des BGM, Workshops zum BGM und der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Information und Anmeldung unter g.reimann@psychologenakademie.de.